Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

teuer ist. Unserer langbewährten Freundschaft muh es mit 
Gottes Hilfe gelingen, Blutvergießen zu verhindern. Dringend 
erwarte ich voll Vertrauen Deine Antwort." 
Hieraus antwortete der Kaiser: 
„Ich danke Dir für Dein Telegramm. Ich habe Deiner 
Regierung gestern den Weg angegeben, durch den allein noch 
der Krieg vermieden werden kann. Obwohl ich um eine Ant- 
wort für heute Mittag ersucht hatte, hat mich bis jetzt noch 
kein Telegramm meines Botschafters mit einer Antwort Deiner 
Regierung erreicht. Ich bin daher gezwungen worden, meine 
Armee zu mobilisieren. Eine sofortige klare und unmißver- 
ständliche Antwort Deiner Regierung ist der einzige Weg, um 
endloses Elend zu vermeiden. Bis ich diese Antwort erhalten 
habe, bin ich zu meiner Betrübnis nicht in der Lage, auf den 
Gegenstand Deines Telegramms einzugehen. Ich muß auf 
das ernsteste von Dir verlangen, daß Du unverzüglich Deinen 
Truppen den Befehl gibst, unter keinen Umständen auch nur 
die leiseste Verletzung unserer Grenzen zu begehen." 
Der Kaiser hatte also eingesehen, daß er vom Zaren 
in perfider Weise hintergangen sei. Schon am Nach- 
mittag des 1. August, also desselben Nachmittags, 
an dem der Zar sein letztes Telegramm an den 
Kaiser abgesandt hatte, rückten russische Truppen auf 
unser Gebiet vor, und somit hatte Rußland den Krieg 
gegen uns eröffnet. 
Ein ganz ähnliches Spiel erlaubten sich der König 
von England und sein Minister mit der Friedensliebe 
und Ehrenhaftigkeit des Deutschen Kaisers zu treiben. 
Am 30. Juli nämlich hatte Prinz Heinrich von Preußen 
den König von England gebeten, dahin zu wirken, 
daß Rußland und Frankreich in dem Kriege zwischen 
Serbien und Osterreich neutral bleiben sollten. Der 
König hatte darauf depeschiert, falls Osterreich sich 
mit der Besetzung Belgrads und benachbarter serbischer 
Gebiete als Pfand für 
seine Forderungen be- 
gnüge, so werde seine 
Regierung darauf hin- 
wirken, daß Rußland und 
Frankreich ihre Rüftun- 
gen einstellten. 
Der Kaiser erwiderte 
darauf erfreut, das decke 
sich ganz mit seinen Ideen 
und den Mitteilungen, 
die er aus Wien erhal- 
ten habe. Er müsse ihm 
aber mitteilen, daß der 
Zar die Mobilisierung 
seiner ganzen Armee und 
Flotte befohlen und ihn 
ganz ohne Nachricht ge- 
lassen habe. Darauf mel- 
dete der König zurück, 
er habe dem Zaren in 
dringendem Telegramm 
seine Bereitwilligkeit aus- 
gesprochen, alles zu tun, 
was in seiner Macht läge, 
um die Wiederaufnahme 
von Verhandlungen zwi- 
schen den beteiligten 
Mächten zu fördern. 
Da geschah etwas höchst Merkwürdiges. Sir 
Edward Grey fragte den deutschen Botschafter Fürsten 
Lichnowsky telephonisch, ob er glaube, erklären zu 
können, daß wir die Franzosen nicht angreifen im 
Falle sie sich in einem deutsch-russischen Kriege neu- 
tral halten würden. Der Botschafter „glaubte die 
Erklärung abgeben zu können" und drahtete Erey's 
Vorschlag hocherfreut nach Berlin, wodurch er fol- 
genden Depeschenwechsel verursachte: 
Telegramm des Kaisers an den König von Eng- 
land vom 1. August 1914: 
„Ich habe soeben die Mitteilung Deiner Regierung erhalten, 
durch die sie die französische Neutralität unter der Garantie 
Großbritanniens anbietet. Diesem Anerbieten war die Frage 
angeschlossen, ob unter diesen Bedingungen Deutschland darauf 
verzichten würde, Frankreich anzugreifen. Aus technischen 
Gründen muß meine schon heute nachmittag nach zwei Fronten, 
nach Osten und Westen, angeordnete Mobilmachung oorberei- 
tungsgemäß vor sich gehen. Gegenbefehl kann nicht mehr ge- 
geben werden, weil Dein Telegramm leider zu spät kam. Aber 
wenn mir Frankreich seine Neutralität anbietet, die durch die 
englische Armee und Flotte garantiert werden muß, werde 
ich natürlich von einem Angriff auf Frankreich absehen und 
meine Truppen anderweitig verwenden. Ich hoffe, Frankreich 
wird nicht nervös werden. Die Truppen an meiner 
Grenze werden gerade telegraphisch und telepho- 
nisch abgehalten, die französische Grenze zu über- 
schreiten." 
Telegramm des Reichskanzlers an den Kaiserlichen 
Botschafter in London vom 1. August: 
„Deutschland ist bereit, auf die englischen Vorschläge ein- 
zugehen, wenn sich England mit seiner Streitmacht für die 
unbedingte Neutralität Frankreichs im deutsch-russischen Kon- 
flikt verbürgt. Die deutsche Mobilmachung ist heute auf 
Grund der russischen Herausforderung erfolgt, ehe die eng- 
lischen Vorschläge hier eintrafen. Infolgedessen ist auch unser 
Aufmarsch an der franzö¬ 
sischen Grenze nicht mehr 
zu ändern. Wir verbürgen 
uns aber, daß die französische 
Grenze bis Montag, den 
Z.August, abends 7Uhr durch 
unsere Truppen nicht über- 
schritten wird, falls bis da- 
hin die Zusage Englands er- 
folgt ist. 
(gez.) Vethmann Hollweg." 
Telegramm des Königs 
von England an den 
Kaiser vom I.August: 
In Beantwortung Deines 
Telegrammes, das eben ein- 
gegangen ist, glaube ich, daß 
ein Mißverständnis bezüglich 
einer Anregung vorliegen 
muß, die in einer freund- 
schaftlichen Unterhaltung 
zwischen dem Fürsten Lich- 
nowsky und Sir Edward 
Grey erfolgt ist, als sie er- 
örterten, wie ein Kampf 
zwischen der deutschen und 
französischen Armee vermie- 
den werden könne, solange 
noch die Möglichkeit besteht, 
daß ein Einverständnis zwi- 
schen Österreich und Rußland 
erzielt wird. Sir Edward 
Grey wird den Fürsten Lich- 
nowsky morgen früh sehen, 
um festzustellen, ob ein Miß- 
Verständnis auf seiner Seite 
vorliegt. (gez.) Georg, 
Abfangen zweier als Damen verkleideter russischer Spione durch 
österreichisch-ungarische Grenztruppen. Nach dem Bericht eines 
Augenzeugen gezeichnet von Richard Aßmann. 
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