teuer ist. Unserer langbewährten Freundschaft muh es mit Gottes Hilfe gelingen, Blutvergießen zu verhindern. Dringend erwarte ich voll Vertrauen Deine Antwort." Hieraus antwortete der Kaiser: „Ich danke Dir für Dein Telegramm. Ich habe Deiner Regierung gestern den Weg angegeben, durch den allein noch der Krieg vermieden werden kann. Obwohl ich um eine Ant- wort für heute Mittag ersucht hatte, hat mich bis jetzt noch kein Telegramm meines Botschafters mit einer Antwort Deiner Regierung erreicht. Ich bin daher gezwungen worden, meine Armee zu mobilisieren. Eine sofortige klare und unmißver- ständliche Antwort Deiner Regierung ist der einzige Weg, um endloses Elend zu vermeiden. Bis ich diese Antwort erhalten habe, bin ich zu meiner Betrübnis nicht in der Lage, auf den Gegenstand Deines Telegramms einzugehen. Ich muß auf das ernsteste von Dir verlangen, daß Du unverzüglich Deinen Truppen den Befehl gibst, unter keinen Umständen auch nur die leiseste Verletzung unserer Grenzen zu begehen." Der Kaiser hatte also eingesehen, daß er vom Zaren in perfider Weise hintergangen sei. Schon am Nach- mittag des 1. August, also desselben Nachmittags, an dem der Zar sein letztes Telegramm an den Kaiser abgesandt hatte, rückten russische Truppen auf unser Gebiet vor, und somit hatte Rußland den Krieg gegen uns eröffnet. Ein ganz ähnliches Spiel erlaubten sich der König von England und sein Minister mit der Friedensliebe und Ehrenhaftigkeit des Deutschen Kaisers zu treiben. Am 30. Juli nämlich hatte Prinz Heinrich von Preußen den König von England gebeten, dahin zu wirken, daß Rußland und Frankreich in dem Kriege zwischen Serbien und Osterreich neutral bleiben sollten. Der König hatte darauf depeschiert, falls Osterreich sich mit der Besetzung Belgrads und benachbarter serbischer Gebiete als Pfand für seine Forderungen be- gnüge, so werde seine Regierung darauf hin- wirken, daß Rußland und Frankreich ihre Rüftun- gen einstellten. Der Kaiser erwiderte darauf erfreut, das decke sich ganz mit seinen Ideen und den Mitteilungen, die er aus Wien erhal- ten habe. Er müsse ihm aber mitteilen, daß der Zar die Mobilisierung seiner ganzen Armee und Flotte befohlen und ihn ganz ohne Nachricht ge- lassen habe. Darauf mel- dete der König zurück, er habe dem Zaren in dringendem Telegramm seine Bereitwilligkeit aus- gesprochen, alles zu tun, was in seiner Macht läge, um die Wiederaufnahme von Verhandlungen zwi- schen den beteiligten Mächten zu fördern. Da geschah etwas höchst Merkwürdiges. Sir Edward Grey fragte den deutschen Botschafter Fürsten Lichnowsky telephonisch, ob er glaube, erklären zu können, daß wir die Franzosen nicht angreifen im Falle sie sich in einem deutsch-russischen Kriege neu- tral halten würden. Der Botschafter „glaubte die Erklärung abgeben zu können" und drahtete Erey's Vorschlag hocherfreut nach Berlin, wodurch er fol- genden Depeschenwechsel verursachte: Telegramm des Kaisers an den König von Eng- land vom 1. August 1914: „Ich habe soeben die Mitteilung Deiner Regierung erhalten, durch die sie die französische Neutralität unter der Garantie Großbritanniens anbietet. Diesem Anerbieten war die Frage angeschlossen, ob unter diesen Bedingungen Deutschland darauf verzichten würde, Frankreich anzugreifen. Aus technischen Gründen muß meine schon heute nachmittag nach zwei Fronten, nach Osten und Westen, angeordnete Mobilmachung oorberei- tungsgemäß vor sich gehen. Gegenbefehl kann nicht mehr ge- geben werden, weil Dein Telegramm leider zu spät kam. Aber wenn mir Frankreich seine Neutralität anbietet, die durch die englische Armee und Flotte garantiert werden muß, werde ich natürlich von einem Angriff auf Frankreich absehen und meine Truppen anderweitig verwenden. Ich hoffe, Frankreich wird nicht nervös werden. Die Truppen an meiner Grenze werden gerade telegraphisch und telepho- nisch abgehalten, die französische Grenze zu über- schreiten." Telegramm des Reichskanzlers an den Kaiserlichen Botschafter in London vom 1. August: „Deutschland ist bereit, auf die englischen Vorschläge ein- zugehen, wenn sich England mit seiner Streitmacht für die unbedingte Neutralität Frankreichs im deutsch-russischen Kon- flikt verbürgt. Die deutsche Mobilmachung ist heute auf Grund der russischen Herausforderung erfolgt, ehe die eng- lischen Vorschläge hier eintrafen. Infolgedessen ist auch unser Aufmarsch an der franzö¬ sischen Grenze nicht mehr zu ändern. Wir verbürgen uns aber, daß die französische Grenze bis Montag, den Z.August, abends 7Uhr durch unsere Truppen nicht über- schritten wird, falls bis da- hin die Zusage Englands er- folgt ist. (gez.) Vethmann Hollweg." Telegramm des Königs von England an den Kaiser vom I.August: In Beantwortung Deines Telegrammes, das eben ein- gegangen ist, glaube ich, daß ein Mißverständnis bezüglich einer Anregung vorliegen muß, die in einer freund- schaftlichen Unterhaltung zwischen dem Fürsten Lich- nowsky und Sir Edward Grey erfolgt ist, als sie er- örterten, wie ein Kampf zwischen der deutschen und französischen Armee vermie- den werden könne, solange noch die Möglichkeit besteht, daß ein Einverständnis zwi- schen Österreich und Rußland erzielt wird. Sir Edward Grey wird den Fürsten Lich- nowsky morgen früh sehen, um festzustellen, ob ein Miß- Verständnis auf seiner Seite vorliegt. (gez.) Georg, Abfangen zweier als Damen verkleideter russischer Spione durch österreichisch-ungarische Grenztruppen. Nach dem Bericht eines Augenzeugen gezeichnet von Richard Aßmann. 16