Volltext: Nr. 8 1925 (Nr. 8 1925)

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Äachrichtett 
Nr. 8 
<glf Aayre nach KriegsansvrnG. 
Wieder jährt sich der Tag, der die Welt in einen 
Blutrausch versetzte und das Glück von Millionen 
Menschen zerstörte, der Tag, an dem der Weltkrieg her- 
aufbeschworen wurde, leichtsinnig und gewissenlos, nur 
im Interesse einiger weniger, von unersättlicher Macht- 
gier und Sucht nach Gold Verblendeter 
Zum elften Mall Immer blasser werden die Bilder, 
die aus jenen Tagen noch vor unserer Seele stehen, all das 
Entsetzliche, Entwürdigende, das unsere Gemüter tief auf¬ 
wühlte und endlich zum Ausbruch der Bolkswut führte, 
die die Schuldigen zu fühlen bekamen, wird langsam ver- 
geffen. Vergessen ist ja das einzige Heilmittel für die 
wunde Seele, die größte Wohltat für ein krankes, erfchüt- 
tertes Gemüt. Vergessen wird auch immer mehr der künst- 
lich genährte Haß der Völker untereinander und das 
Verständnis für gegenseitige Annäherung nimmt immer 
mehr zu. Aber trotzdem werden wir noch täglich und 
stündlich an den Völkermord und die Zerstörung erinnert, 
denn Arbeitslosigkeit, Teuerung, Geldknappheit, Jndu- 
striekrise, Abbau sind die traurigen Kriegsfolgen, die un- 
fere Not und unser Elend verursachen. Für uns Kriegs¬ 
opfer aber kommen noch die Leiden und Krankheiten da- 
zu, die uns stets erinnern, daß wir Blutzeugen des unge¬ 
heuerlichsten Weltgeschehens geworden sind. So kann das 
Vergessen für viele Tausende noch lange kein vollkom- 
menes werden. 
Bergessen! So sehr es wohltut — so groß ist die Ge- 
fahr! Denn gewissenlose Menschen, solche die aus Blut 
Gold münzten, solche, die für die Befriedigung perfön- 
licher Gelüste skrupellos Menfchenglück zerstörten und zu 
zerstören bereit sind, schüren und schüren ununterbrochen 
den Nationalitätenhaß. Sie vergessen nicht, denn für sie 
brachte der Krieg nicht Elend und Not. — Sie verstehen 
es, durch ihre bezahlten Knechte die Jugend zu verführen 
und die Völkerversöhnung lächerlich und schlecht zu ma- 
chen, sie verstehen es, die Volksstimmung zu vergiften und 
Haß zu säen. 
Darum dürfen auch die nicht vergessen, die den Krieg 
hassen gelernt, darum müssen sie immer wieder auftreten 
als Warner, als Apostel der Friedensidee und durch die 
Tat beweisen, daß sie bereit sind, alles zu tun, uin die 
Menschen zu versöhnen, zu verbrüdern. Denn der Krieg 
hat nur Leid gebracht. Ob Sieger, ob Besiegte ■— über¬ 
all schmachten die „Helden", die „Blutzeugen" in ent- 
würdigender Not, überall müssen sie um eine kärgliche 
Versorgung ringen und ein gemeinsamer, gleicher Kampf 
wird sie einen, alle einen zu einer machtvollen Organi¬ 
sation, deren hehrste Aufgabe es fein wird, den Krieg 
zu bekämpfen und die Völkerversöhnung anzubahnen. 
Gedenket, Kameradinnen und Kameraden, in diesen 
Tagen all der Leiden von einst und heute, all der Leiden, 
die der Krieg gezeugt, und schwört einen heiligen Schwur, 
daß ihr nie und nimmer zugeben wollt, daß eure in Not 
und Entbehrungen groß gezogenen Kinder dereinst wieder 
im Dienste macht- und beutehungriger Menschen hin- 
geopfert werden. Schwört, daß ihr stets und immer ein- 
treten wollt für den Völkerfrieden, für eine ruhige und 
gerechte Entwicklung aller Nationen, eintreten wollt gegen 
den Krieg und Völkerhaß, gegen den Militarismus und 
die Kriegsindustrie, die schon wieder neue, entsetzliche 
Waffen und Mittel zur Vernichtung von Menschenleben 
und Kulturgütern ersinnt. 
Es gibt für uns nur einen Krieg, der geführt wird 
mit den unblutigen Waffen des Geistes, den Krieg 
gegendenKrieg! —tt— 
Äst das Invaliden-EntfGüdigung? 
Monate- und jahrelang mußten einst die Kriegsopfer 
auf die Bemessung ihrer Renten warten, weil die große 
Zahl die Erledigung hemmte. Als endlich alle einer erst- 
maligen Begutachtung unterzogen waren, glaubten viele, 
die einen „Dauerbescheid" erhalten hotten, von aller 
Drangsalierung befreit zu sein, während viele wieder, 
deren Leiden sich beständig verschlimmerte, auf eine neuer- 
liche Begutachtung warteten, oftmals wieder monate- 
lang warteten und manche noch zuvor vom Tode erlöst 
wurden. 
Alle Vorstellungen bei der I. E. K. blieben erfolglos 
— man bekam stets die Ausrede vom Beamtenabbau zu 
hören und man ließ diese Ausrede gelten. Wie aber 
reimt sich das, wenn jetzt, wo der Beamtenabbau noch 
immer lustig Existenzen zerstört, auf einmal Zeit ist, In- 
valide mit Dauerrenten, und zwar solche mit schweren 
Beschädigungen, ohne daß sie es verlangen, zur Begut¬ 
achtung zu schleppen, um sie um 20, 30 und mehr 
Prozente herabzusetzen? Wieso hat man dazu Zeit? Das 
Rätsel ist leicht gelöst. Man läßt dafür die anderen, die 
eine Verschlimmerung angemeldet haben — warten, wie¬ 
der monatelang, bis so manchen der Tod erlöst. — Ver¬ 
schlimmerungsanmeldungen bringen dem Staate erhöhte 
Auslagen —- die Begutachtungen, die das Bureau ver¬ 
anlaßt, enden fast ausnahmslos mit Herabsetzungen — 
bedeuten also Ersparungen und bringen dem Beamten 
hohe Titel ein und schützen ihn, den treuen Diener des 
Staates — so glaubt und hofft er wenigstens -— vor dem 
Abbau. — Das ist des Rätsels Lösung. Der Vorwand 
aber, der natürlich dem so im stillen geübten Invaliden- 
abbau ein Mäntelchen umtun muß, ist ein mannigfaltiger. 
Vor allem: In den Jahren 1919 und 1920 war man viel 
zu milde — d. h. damals hatte man noch ein Herz für 
den Kriegsbeschädigten und befolgte mehr den Sinn als 
den Buchstaben des Gesetzes. Diese Milde war — so sagt 
man — ungerecht und wir kennen einen Herrn, der ängst- 
lich darüber wacht, daß ja kein Unrecht geschieht und kein 
Invalide zu — viel bekommt. In den ersten Iahren r rch 
dem Kriege hat man aber auch nicht darauf gesehen, ob 
jedes Leiden aktenmäßig belegt war, man hat den Men¬ 
schen begutachtet, nicht das tote Stück Papier. Das ist 
der hochwohllöblichen Bureaukratie wiederum ein Anlaß, 
sich auf den Invaliden zu stürzen, auf daß er beweise — 
sieben Jahre nach Kriegsende — daß sein Zustand oder 
sein Leiden Kriegsfolge fei. Wehe ihm, wenn er seinen 
ohnehin schon dicken Akt nun nicht um eine erkleckliche 
Anzahl von Papierfetzen zu bereichern imstande ist! 
Im Jahre 1919 sah man den Kriegskrüppel, ein wenig 
von dem Glorienschein des Helden umgab ihn noch, man 
fühlte mit ihm, was er gelitten, und fühlte nach, was er 
verloren — gerade Glieder — Gesundheit — Lebensglück! 
Da begutachtete man das Leiden — schädigte es ihn in 
seinem Berufe besonders, erhöhte man den Prozentsatz. 
Und heute? Aus dem Akt geht hervor, daß ein Vollrent- 
ner arbeitet. Was? Das kann nicht sein, der Mann 
kann arbeiten — also ist er zu hoch eingeschätzt. Daher 
das „Unrecht" gut machen, neuerlich begutachten, d. h. 
herabsetzen. Er arbeitet und das beweist, daß er nicht mehr 
als 75 Prozent erwerbsunfähig ist. — Daß er unter größ- 
ten Anstrengungen arbeitet, unter Hintansetzung aller 
Rücksichtnahme auf seinen Gesundheits- oder besser ge¬ 
sagt Krankheitszustand, daß er arbeitet, weil er nicht ver¬
	        
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