Volltext: Die Waise von Ybbsthal

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Gefühle zu kränken. Das fromme Kind neigte jedesmal 
das Haupt, so oft man an einem Kreuze oder einer Bild¬ 
säule vorbeiritt. Gieng das Pferd langsam, und fühlte Luise 
keine Gefahr, von demselben hinunterzustürzen, machte sie 
wol auch das Kreuzzeichen, wie sie dies von früher Kindheit 
an zu thun gewohnt war. Als man nun abermals an einem 
Crucifixe vorüberkam, das hart am Wege stand, und das 
Mädchen jene fromme Uebung wiederholte, schlug es der 
Soldat auf die Hand, zog den Säbel und hieb damit nach 
dem Heilandbilde, worauf er in ein teuflisches Gelächter aus¬ 
brach. Nun konnte Luise ihren Schmerz nicht mehr länger 
zurückhalten; sie sieng laut zu schluchzen an. Einen so 
entsetzlichen Frevel hatte das unschuldige Kind wol nimmer¬ 
mehr für möglich gehalten. Es war ihr jetzt mit einem 
Male klar geworden, welch rohe, gottlose Menschen sich unter 
den feindlichen Kriegern befänden. Doch auch das Gegen¬ 
theil sollte sie zu gleicher Zeit wieder erfahren. Kaum 
nämlich war die Frevelthat vollbracht, als einige der nach¬ 
folgenden Reiter, welche Zeugen des Geschehenen waren, an 
den Elenden heranritten und unter wilden Drohungen und 
heftigen Reden mit gezückten Säbeln auf ihn loszustürzen 
Miene machten. Den lauten Wortwechsel hörte der Major, 
der bereits eine Strecke vorausgeritten war, und lyrkte nun 
sogleich sein Pferd um; in wenigen Augenblicken war er auf 
dem Schauplatze der Scene. Ein einziger Blick auf das ver¬ 
stümmelte Heilandbild genügte, zu wissen, was geschehen war. 
Das zornfunkelnde Auge des Offiziers suchte den Schul¬ 
digen. Er war leicht zu finden. Die Krieger im Kreise 
herum blickten ja alle nur auf ihn, und Luisens Thränen 
waren wol auch kein Zeugnis zu Gunsten pes Frevlers.
	        
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