Volltext: Indien im Weltkriege [63]

t großes, mächtiges, von England unabhängiges Reich ist, das 
wußten bis zum Kriegsausbruch eigentlich nur die Mohammedaner, 
bei denen die Rede von Deutschlands militärischer Stärke und 
von der Freundschaft zwischen dem Kaiser und dem Sultan von 
Mund zu Mund geht. Aber die große Masse der Lind» 
(230 Millionen) kennt Deutschland überhaupt nicht. Nur die 
dünne Oberschicht, die englische Schulbildung genossen hat und 
Zeitungen liest, weiß etwas von uns. Aber auch ihre Vor- 
* stellungen von Deutschland sind durchaus unklar. Der Lehrplan 
der höheren englischen Schulen in Indien sorgt dafür, daß die 
Indier keinen zutreffenden Begriff von Deutschland bekommen 
können. England, die Beherrscherin des Ozeans, ist politisch, 
wirtschaftlich und kulturell die führende Macht unter den 
weißen Völkern. Neben ihm kommt höchstens noch Amerika in 
Betracht, wo man ebenfalls Englisch spricht. Alle übrigen Länder, 
Frankreich, Rußland, die Niederlande, Belgien, Portugal, Deutsch¬ 
land usw., sind von untergeordneter Bedeutung. Man möge sich 
vorstellen, welche Schauermären von den Greueltaten der deut¬ 
schen Lorden in Belgien von Reuter in den indischen Zeitungen 
verbreitet worden sind und Glauben gefunden haben! 
Aber darf uns das wundern? Was wissen denn wir, ich 
» meine, was weiß unser mit elementaren Kenntnissen von der 
Schule her sonst so gut ausgerüstetes Volk von Indien? Äat 
es — von Missionskreisen abgesehen — wohl eine Ahnung, 
welcher Religionsform die 230 Millionen Äindu anhängen? Gibt 
es nicht unter uns Gebildeten noch genug Leute, die da meinen, 
daß in Indien der Buddhismus herrsche, der doch seit mehr als 
einem halben Jahrtausend von den Brachmanen wieder verdrängt 
worden ist? Oder wer macht sich einen Begriff von der Ein¬ 
richtung der Kaste, die das Leben des Äindu von der Geburt bis 
zum Tode allmächtig beherrscht, den in Tausende von kleinlichen 
Strebungen zerteilten Volkswillen unweigerlich tyrannisiert, ein 
s Bewußtsein von Staatsbürgerrechten und Staatsbürgerpflichten 
gar nicht aufkommen läßt und daher die Äauptursache ist, wes¬ 
halb eine Äandvoll Engländer das Riesenreich beherrschen kann? 
Oder weiß man bei uns, daß in Indien zuweilen im Laufe eines 
einzigen Jahres Millionen von Menschen Äungers sterben? Ja, 
man könnte es wissen, weil die Zeitungen dann und wann davon 
berichten. Aber hat man je bei uns die Frage aufgeworfen, wie 
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