Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Siebenter Band. (Siebenter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. 
Ordnung. Die Lastkraftwagen poltern dicht aufgeschlossen, 
die Fuhrwerke fahren auf Vordermann. Man würde es 
auch als Laie merken : hier pulst ein Hauptstrom des Nach 
schubes für die gewaltige Schlacht in Flandern, deren 
Trommeln sich trotz des Lärmes bemerkbar macht. 
Der Strom ergießt sich in die Stadt A. Es geht nicht 
anders, denn der Belgier kennt keine Umgehungstraßen. 
Verrußte Häuser bilden Gassen. Ausgebrannte Woh 
nungen starren mit weitaufgerissenen Augen herab. Ein 
versetzter Giebel wirkt wie ein quer gerutschter Papierhelm. 
Im zweiten Stock hängt ein angekratzter Balkon aus Ziegel 
steinen und zittert, höhnisch trotzend, im Winde. Jeder 
Vorbeikommende sieht wie gebannt hinauf. Ob er wohl 
noch so lange hält? Das ist das Stadtviertel, wo neulich 
die Brandbomben fielen; englische Brandbomben, ■ die 
belgisches Hab und Gut vernichteten.- Die Bewohner sind 
aus den gefährlichen Trümmern entfernt worden. Es ist 
ein toter Stadtteil; für die Feldgrauen etwas Alltägliches. 
Gleichmäßig zieht der Strom weiter. Unter den 
Todesängsten während des Fliegerangriffs stundenlang zu 
sammengekauert im Keller saßen, still gemacht. 
Zwei Straßen, in denen das Rumpeln fallenden Ge 
mäuers Staubwolken aufschießen läßt, führen mich zu der 
Stelle, wo ein Achtunddreißiger aus englischen Geschützen 
das Zerstörungswerk der Bomben unterstützte. Ein Riesen 
schutthaufen, von den sterbenden Häusern umgeben, das 
ist der erste Eindruck. Einige Wände neigen sich schon be 
denklich. In den Mauern klaffen Lücken. Ein Dach ist 
nach hinten abgerutscht wie ein sterbendes Pferd, das sich 
noch einmal aus der Vorderhand aufzurichten versucht. 
Rings hängen die Gardinen zu den Fenstern heraus. 
Einige Fensterläden sind aufgerollt und verdecken wie eine 
spanische Wand das Bild der inneren Zerstörung. Einen 
widerlichen Anblick bietet ein Schlafzimmer, dessen Einzel 
heiten die Wucht der Granate der Öffentlichkeit enthüllt 
hat. Kissen, Bettdecken, Leintücher liegen in den Nischen, 
spielen im Winde oder quellen prall aus den Häuserwunden. 
Ein Trauerzug begegnet mir. Anscheinend ein Opfer 
Zürn Besuch des Deutschen Kaisers in der bulgarischen Hauptstadt. 
Der Kaiser im Gespräch mit Osfiziersabordnungen am Schloß von Sofia. Hinter ihm König Ferdinand v n Bulgarien. 
Pferdehufen und den Rädern klirrt Glas. Das erste 
Zeichen eines sterbenden Stadtteils! Wir haben das 
Dröhnen der Fliegerbomben heute nacht in unseren 
Quartieren gehört. Der ungeheure Luftdruck hat in der 
heimgesuchten Stadt alle Fensterscheiben auf die Straßen 
und in die Stuben geworfen. Die großen Schaufenster 
eines Warenhauses machten keine Ausnahme. Bruchstücke, 
wie Tischplatten so groß, hängen aus den Fensterrahmen. 
Der Rest ist unten zerschellt. 
Einzeln oder in Gruppen stehen zitternd die Bewohner 
auf den Plätzen, unter den Türen. Ihre Nerven sind noch 
erregt. Sie schauern am ganzen Leib und starren gleich 
mütig in den großen Schaden. 
Am Marktplatz hat die Ortskommandantur schon seit 
Stunden mit den Aufräumungsarbeiten begonnen. Hier 
bietet sich die zuckende sterbende Stadt unverhüllt den 
Blicken dar. Dreistöckige Häuser — allerdings belgischer 
Bauart, wo die Zimmerdecken aus übertünchten Latten 
rösten mit einigen Brettern bestehen — sind zusammen 
gesunken. Dort stehen noch die Wände; das Innere ist 
hinuntergestürzt, und hat zehn oder zwölf Belgier, die in 
früherer Angriffe. Der Pfarrer in Amtstracht singt, un 
bekümmert um den Verkehr, sein Gebet. Dahinter folgt 
der Sarg, von Zivilisten getragen, dann die Angehörigen. 
Alle weiblichen Leidtragenden, auch die Schulmädchen» 
haben tiefwallende, schwarze Schleier und ein Kreuz an 
einem hellen Bande um den Hals. Ein eigenartiger An 
blick ist dieses Häuflein inmitten feldgrauen Gewühls! 
Mein Weg führt mich am Trauerhaus vorbei. Der 
ganze Eingang ist auf der Straßenseite mit schwarzen Vor 
hängen ausgeschlaaen, die silberne Fransen und Quasten 
tragen. Ein Totenlicht flackert noch trübe in der achtkantigen 
Laterne. Ich denke an die vielen Opfer, die man über 
morgen begraben wird ... 
Das war mein Wiedersehen mit der so schönen, fried 
lichen Stadt kurz vor der großen Schlacht. Die Engländer 
hatten keinen Schritt Boden seit damals gewonnen. Aber 
blinde Zerstörungswut hat sie verblendet. Rnn haben sie 
in vielen blühenden belgischen Städten einen lodernden Haß 
der Bewohner geweckt; die englischen Flieger würden von 
ihnen mit Wonne erschlagen werden — zur Vergeltung für 
ihre qualvoll sterbenden flandrischen Städte.
	        
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