352 Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. Ordnung. Die Lastkraftwagen poltern dicht aufgeschlossen, die Fuhrwerke fahren auf Vordermann. Man würde es auch als Laie merken : hier pulst ein Hauptstrom des Nach schubes für die gewaltige Schlacht in Flandern, deren Trommeln sich trotz des Lärmes bemerkbar macht. Der Strom ergießt sich in die Stadt A. Es geht nicht anders, denn der Belgier kennt keine Umgehungstraßen. Verrußte Häuser bilden Gassen. Ausgebrannte Woh nungen starren mit weitaufgerissenen Augen herab. Ein versetzter Giebel wirkt wie ein quer gerutschter Papierhelm. Im zweiten Stock hängt ein angekratzter Balkon aus Ziegel steinen und zittert, höhnisch trotzend, im Winde. Jeder Vorbeikommende sieht wie gebannt hinauf. Ob er wohl noch so lange hält? Das ist das Stadtviertel, wo neulich die Brandbomben fielen; englische Brandbomben, ■ die belgisches Hab und Gut vernichteten.- Die Bewohner sind aus den gefährlichen Trümmern entfernt worden. Es ist ein toter Stadtteil; für die Feldgrauen etwas Alltägliches. Gleichmäßig zieht der Strom weiter. Unter den Todesängsten während des Fliegerangriffs stundenlang zu sammengekauert im Keller saßen, still gemacht. Zwei Straßen, in denen das Rumpeln fallenden Ge mäuers Staubwolken aufschießen läßt, führen mich zu der Stelle, wo ein Achtunddreißiger aus englischen Geschützen das Zerstörungswerk der Bomben unterstützte. Ein Riesen schutthaufen, von den sterbenden Häusern umgeben, das ist der erste Eindruck. Einige Wände neigen sich schon be denklich. In den Mauern klaffen Lücken. Ein Dach ist nach hinten abgerutscht wie ein sterbendes Pferd, das sich noch einmal aus der Vorderhand aufzurichten versucht. Rings hängen die Gardinen zu den Fenstern heraus. Einige Fensterläden sind aufgerollt und verdecken wie eine spanische Wand das Bild der inneren Zerstörung. Einen widerlichen Anblick bietet ein Schlafzimmer, dessen Einzel heiten die Wucht der Granate der Öffentlichkeit enthüllt hat. Kissen, Bettdecken, Leintücher liegen in den Nischen, spielen im Winde oder quellen prall aus den Häuserwunden. Ein Trauerzug begegnet mir. Anscheinend ein Opfer Zürn Besuch des Deutschen Kaisers in der bulgarischen Hauptstadt. Der Kaiser im Gespräch mit Osfiziersabordnungen am Schloß von Sofia. Hinter ihm König Ferdinand v n Bulgarien. Pferdehufen und den Rädern klirrt Glas. Das erste Zeichen eines sterbenden Stadtteils! Wir haben das Dröhnen der Fliegerbomben heute nacht in unseren Quartieren gehört. Der ungeheure Luftdruck hat in der heimgesuchten Stadt alle Fensterscheiben auf die Straßen und in die Stuben geworfen. Die großen Schaufenster eines Warenhauses machten keine Ausnahme. Bruchstücke, wie Tischplatten so groß, hängen aus den Fensterrahmen. Der Rest ist unten zerschellt. Einzeln oder in Gruppen stehen zitternd die Bewohner auf den Plätzen, unter den Türen. Ihre Nerven sind noch erregt. Sie schauern am ganzen Leib und starren gleich mütig in den großen Schaden. Am Marktplatz hat die Ortskommandantur schon seit Stunden mit den Aufräumungsarbeiten begonnen. Hier bietet sich die zuckende sterbende Stadt unverhüllt den Blicken dar. Dreistöckige Häuser — allerdings belgischer Bauart, wo die Zimmerdecken aus übertünchten Latten rösten mit einigen Brettern bestehen — sind zusammen gesunken. Dort stehen noch die Wände; das Innere ist hinuntergestürzt, und hat zehn oder zwölf Belgier, die in früherer Angriffe. Der Pfarrer in Amtstracht singt, un bekümmert um den Verkehr, sein Gebet. Dahinter folgt der Sarg, von Zivilisten getragen, dann die Angehörigen. Alle weiblichen Leidtragenden, auch die Schulmädchen» haben tiefwallende, schwarze Schleier und ein Kreuz an einem hellen Bande um den Hals. Ein eigenartiger An blick ist dieses Häuflein inmitten feldgrauen Gewühls! Mein Weg führt mich am Trauerhaus vorbei. Der ganze Eingang ist auf der Straßenseite mit schwarzen Vor hängen ausgeschlaaen, die silberne Fransen und Quasten tragen. Ein Totenlicht flackert noch trübe in der achtkantigen Laterne. Ich denke an die vielen Opfer, die man über morgen begraben wird ... Das war mein Wiedersehen mit der so schönen, fried lichen Stadt kurz vor der großen Schlacht. Die Engländer hatten keinen Schritt Boden seit damals gewonnen. Aber blinde Zerstörungswut hat sie verblendet. Rnn haben sie in vielen blühenden belgischen Städten einen lodernden Haß der Bewohner geweckt; die englischen Flieger würden von ihnen mit Wonne erschlagen werden — zur Vergeltung für ihre qualvoll sterbenden flandrischen Städte.