Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Sechster Band. (Sechster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. 
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Lawinengefahr im Hochgebirge. 
Nach einer Originalzeichnung von Fritz van der Venne. 
bedeutend mit Krieg? Er antwortete: 
die Mobilmachung sei für Deutschland 
eine so einschneidende Maßregel, daß sie 
erst im letzten Augenblick ausgesprochen 
werde, wenn der Krieg unvermeidlich 
erscheine, das heißt, wenn die Sicher 
heit des Reiches ernstlich bedroht sei. 
„Unsere geographische Lage mit ihren 
zwei zu verteidigenden Fronten zwingt 
uns bei lebensgefährlicher Bedrohung 511 
raschem Handeln!" Klarer und eindring 
licher konnte Rußland nicht gewarnt wer 
den; es machte trotzdem seine gesamten 
Stzreitkräfte mobil und entfesselte damit 
den Weltkrieg.. 
Will man eine überzeugende Antwort 
auf die Frage haben, wer für den Krieg 
verantwortlich ist, so braucht man nur die 
politischen Ziele, die bei den jetzigen 
Bundesgenossen gegen Deutschland schon 
lange vor dem Kriege verkündet wurden, 
mit denjenigen zu vergleichen, die jetzt 
amtlich als die Kriegsziele des Vierver 
bands bekannt gemacht worden sind. Es 
ergibt sich eine vollkommene Übereinstim 
mung. In Frankreich verlangte man 
Elsaß-Lothringen, in Rußland Konstanti 
nopel und was dazu gehört, und in Eng 
land die Beseitigung der „deutschen Ge 
fahr"; von diesen Dingen hallte die fran 
zösische, russische und englische Presse seit 
Jahrzehnten wider. Nun wohl, eben diese 
Wünsche werden vom Ausbruch des Krie 
ges an bis heute als das Friedenspro 
gramm des Vierverbands verkündet. Wer 
hat sich also aufgemacht, um mit Gewalt 
eine Änderung des bestehenden Zustandes 
in Europa zu erlangen? 
Wem zum Nutzen, so fragt man nach 
der alten römischen Rechtsregel, wenn 
die Schuld an einer begangenen Tat 
festgestellt werden soll. Die Antwort hier 
ist, wie wir sehen, einfach und schlagend: 
was unsere Feinde vorher lange begehrt 
haben, eben das, so verkünden sie laut in 
alle Welt hinaus, soll ihnen dieser Krieg 
bringen! 
Er soll es, sicher; ob er es wird, ist 
eine andere Frage. In St. Petersburg, 
in London, in Paris und in Rom hat 
man die Unabänderlichleit des Entschlus 
ses, den Krieg fortzusetzen, verkündet. 
In allen vier feindlichen Hauptländern 
aber mischen sich in den Kriegsfanatismus 
Stimmen, die, wenn auch keine Friedens 
bereitschaft im Sinne der Menschlichkeit 
und Gerechtigkeit, so doch allerlei Be 
denken über den Ausgang widerspiegeln. 
Das Rundschreiben der deutschen Regie 
rung vom 11. Januar verkündet zugleich 
die gerechte Sache Deutschlands, die 
Mäßigung des deutschen Willens nach 
zweieinhalb Jahren schweren , aller Tin 
ganzen siegreichen Kampfes, und den un 
erschütterlichen Anspruch Deutschlands auf 
eine Weltstellung, wie es dem kultiviertesten, 
größten und zahlreichsten in sich geschlosse 
nen Volke Europas gehört. Nirgends zwischen dem Atlan 
tischen Ozean, dem Ural und dem Kaukasus gibt es noch ein 
mal 65 Millionen Menschen eines Stammes, einer Sprache, 
eines Willens, die auf so viele und so große Leistungen ihrer 
selbst und ihrer Vorfahren für die Entwicklung der mensch 
lichen Kultur Zurückschauen können,- wie die Deutschen. 
Wir haben schon bei früheren Erlesenheiten darauf auf 
merksam gemacht, daß weiterblickende Politiker auch auf 
der feindlichen, namentlich der englischen Seite es offen 
eingestehen: bisher hat Deutschland mit seinen Bundes 
genossen gesiegt. Vor allen Dingen sei an einen so be 
deutenden Mann wie den Herausgeber des „Observer" 
und anderer Blätter in England, Earvin, erinnert, der ge 
sagt hat, der Vierverband sei so lange der besiegte Teil, wie 
Deutschland im Verein mit dem übrigen Mitteleuropa die 
Verbindung mit dem Orient behauptet. Earvin hielt seinen 
Aufsehen erregenden Vortrag in der Kolonialgesellschaft 
in London im Sommer 1916; Anfang Januar 1917 lasen 
wir in einem anderen englischen Blatt von Bedeutung, dem 
„New Statesman", über Deutschlands Weltstellung und die 
Frage, des Friedenschlusses unter diesem Gesichtspunkt die 
folgenden, lebhaft an Earvin erinnernden Ausführungen: 
1. Der Krieg im Westen hat deutlich erkennen lassen, daß der 
Besitz eines überwältigend großen.Angriffsheeres die einzige Form 
militärischer Vorbereitungen ist, die Wert hat. Die Nation, die das 
größte Heer innerhalb der möglichst kürzesten Zeit nach der Kriegs 
erklärung oder besser noch vor der Kriegserklärung mobilisieren kann, 
braucht lediglich in das feindliche Gebiet einzurücken und sich dann 
einzugraben. Wenn dies geschehen ist, so hat das angegriffene Land 
keine andere Wahl mehr als einen Erschöpfungskrieg, der wahr- 
sckninlich verschiedene Jahre dauert, zu führen, oder sich als ge 
schlagen zu bekennen und Frieden auf Grund der Bedingungen des 
Angreifenden zu machen. 
t 2. Der Krieg im Osten hat deutlich gezeigt, daß Rußland, wenn 
gleich noch immer unbesiegbar, keine Militärmacht ersten Ranges 
ist, wenn es nicht durch Verbündete unterstützt wird, und daß es 
mindestens während der Dauer von zwei Generationen auch nicht 
zu solcher Militärmacht werden kann. 
Infolgedessen kann Deutschland auch nicht länger im Zaum 
gehalten werden durch die Furcht vor den „russischen Horden". 
3. Der Krieg Im Südosten hat bewiesen, 
daß Frankreich und England nicht mit Deutsch 
land auf dem Balkan wetteifern unb nicht 
unmittelbar wirksam eingreifen können, da 
Deutschland einen natürlichen Vorteil in seinen 
guten Landverbindungen von Berlin nach dem 
Bosporus besitzt. 
4. Der Krieg hat gezeigt, daß Deutschland 
ein viel kräftigerer Militärstaat ist, als wir 
vermutet hatten, und vielleicht sogar als 
Deutschland selbst glaubte, und daß die Va 
sallenvölker im Kampfe im allgemeinen zuver 
lässig sirch, wenngleich die aus diesen Vasallen 
völkern gebildeten Regimenter nicht so wertvoll 
sind wie die deutschen Regimenter, und daß sie 
sich unter deutscher Führung ausgezeichnet 
schlagen. 
5. Es muß die Tatsache festgestellt werden, 
daß der Glaube an Deutschlands Macht im 
Kriege sich in ganz Südosteuropa außerordent 
lich verstärkt hat. Diese Tatsache wird die Lage 
Europas beherrschen, solange die militärische 
Kraft Deutschlands ungebrochen bleibt, und 
das ist es, was die Verbündeten meinten, 
wenn sie erklärten, daß sie nicht für Kriegsziele 
kämpfen, sondern für den Sieg. Man ver 
gegenwärtige sich nur, was diese Tatsachen be 
deuten. Angenommen, daß Deutschland jetzt 
bereit wäre, Frankreich und Belgien zu räumen 
und diesen beiden Ländern eine Schadenver 
gütung zu bezahlen, ferner Russisch-Polen, 
die baltischen Provinzen und Serbien zu 
räumen, und angenommen, daß Österreich be 
reit wäre, das Trentino an Italien abzutreten, 
endlich angenommen, daß Deutschland sogar 
bereit sei, Elsaß-Lothringen mit Frankreich zu 
teilen, Triest Italien zuzugestehen und von 
der Rückgabe einiger Kolonien abzustehen, so 
sind das Bedingungen, die naturgemäß weit 
über das hinausgehen, was Deutschland zu 
bieten gedenkt; aber selbst dann würde Deutsch 
land zweifelsohne den Krieg gewonnen haben, 
denn es würde in Wirklichkeit der Herrscher des 
europäischen Festlands sein, ohne daß die Mög 
lichkeit bestände, daß ihm diese Oberherrschaft 
bestritten würde. Befreit von der Furcht vor 
den russischen Millionen, und an der Westgrenze 
durch ein Laufgrabensystem geschützt, würde 
sein Wort Gesetz werden von der Nordsee 
bis zum Schwarzen Meere. Mitteleuropa könnte 
ebenso sicher und bequem gegründet werden, 
wie das Deutsche Kaiserreich nach dem Krieg 
von 1870, und nichts könnte seine Ausdehnung 
über den Balkan nach El Arisch und nach 
Bagdad verhindern: denn die kleinen Balkan 
staaten haben wohl gelernt, Berlin keinen Wi 
derstand zu bieten und erfahren, daß die 
jenigen, die dennoch Widerstand leisten, keine 
Hilfe finden. Die Türkei aber kann ihre Eri- 
stenz nicht sichern ohne die gnädige Gunst 
Deutschlands. Mit einer solchen strategischen 
Lage und derartigen Hilfsmitteln wird Deutsch 
land imstande sein, während der nächsten zehn 
Jahre nicht der Welt, wohl aber Europa die 
Gesetze vorzuschreiben. Großbritannien wird 
unabhängig und ziemlich sicher bleiben; die ent 
blößte ägyptische Grenze könnte verstärkt wer 
den. Aber das übrige Europa würde der Gnade 
Deutschlands überliefert werden. Wie würde 
es dann den kleinen Staaten ergehen, und wie 
lange würde es dauern, bis Deutschland be 
schließen würde, diese Länder, die es als seine 
natürliche Grenze ansieht, zu besehen? 
Man sieht, daß diese Darlegung offen 
sichtlich übertrieben ist. Niemand in Deutschland oder sonst 
in der Welt wird so kindlich sein, daß er einen Frieden unter 
solchen Bedingungen, wie sie der „New Statesman" an 
nimmt, als einen deutschen Erfolg betrachtet. Der „New 
Statesman" aber zeigt uns die Tiefe der englischen Besorg 
nis vor unserer.Zukunftsweltstellung nach dem Kriege. Er 
zeigt uns, was England vor allen Dingen fürchtet, und was 
es darum um jeden Preis zu verhindern sich bemüht: die 
dauernde Verbindung Deutschlands mit dem Orient. Der 
Orient soll Englands Machtgebiet bleiben. Die Engländer 
unterscheiden den „nahen" und den „mittleren" Osten. Der 
erstere reicht vom Balkan bis Suez, der andere von Suez 
bis Singapore. Bleibt der nahe Orient mit Mitteleuropa
	        
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