140 Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. 141 Lawinengefahr im Hochgebirge. Nach einer Originalzeichnung von Fritz van der Venne. bedeutend mit Krieg? Er antwortete: die Mobilmachung sei für Deutschland eine so einschneidende Maßregel, daß sie erst im letzten Augenblick ausgesprochen werde, wenn der Krieg unvermeidlich erscheine, das heißt, wenn die Sicher heit des Reiches ernstlich bedroht sei. „Unsere geographische Lage mit ihren zwei zu verteidigenden Fronten zwingt uns bei lebensgefährlicher Bedrohung 511 raschem Handeln!" Klarer und eindring licher konnte Rußland nicht gewarnt wer den; es machte trotzdem seine gesamten Stzreitkräfte mobil und entfesselte damit den Weltkrieg.. Will man eine überzeugende Antwort auf die Frage haben, wer für den Krieg verantwortlich ist, so braucht man nur die politischen Ziele, die bei den jetzigen Bundesgenossen gegen Deutschland schon lange vor dem Kriege verkündet wurden, mit denjenigen zu vergleichen, die jetzt amtlich als die Kriegsziele des Vierver bands bekannt gemacht worden sind. Es ergibt sich eine vollkommene Übereinstim mung. In Frankreich verlangte man Elsaß-Lothringen, in Rußland Konstanti nopel und was dazu gehört, und in Eng land die Beseitigung der „deutschen Ge fahr"; von diesen Dingen hallte die fran zösische, russische und englische Presse seit Jahrzehnten wider. Nun wohl, eben diese Wünsche werden vom Ausbruch des Krie ges an bis heute als das Friedenspro gramm des Vierverbands verkündet. Wer hat sich also aufgemacht, um mit Gewalt eine Änderung des bestehenden Zustandes in Europa zu erlangen? Wem zum Nutzen, so fragt man nach der alten römischen Rechtsregel, wenn die Schuld an einer begangenen Tat festgestellt werden soll. Die Antwort hier ist, wie wir sehen, einfach und schlagend: was unsere Feinde vorher lange begehrt haben, eben das, so verkünden sie laut in alle Welt hinaus, soll ihnen dieser Krieg bringen! Er soll es, sicher; ob er es wird, ist eine andere Frage. In St. Petersburg, in London, in Paris und in Rom hat man die Unabänderlichleit des Entschlus ses, den Krieg fortzusetzen, verkündet. In allen vier feindlichen Hauptländern aber mischen sich in den Kriegsfanatismus Stimmen, die, wenn auch keine Friedens bereitschaft im Sinne der Menschlichkeit und Gerechtigkeit, so doch allerlei Be denken über den Ausgang widerspiegeln. Das Rundschreiben der deutschen Regie rung vom 11. Januar verkündet zugleich die gerechte Sache Deutschlands, die Mäßigung des deutschen Willens nach zweieinhalb Jahren schweren , aller Tin ganzen siegreichen Kampfes, und den un erschütterlichen Anspruch Deutschlands auf eine Weltstellung, wie es dem kultiviertesten, größten und zahlreichsten in sich geschlosse nen Volke Europas gehört. Nirgends zwischen dem Atlan tischen Ozean, dem Ural und dem Kaukasus gibt es noch ein mal 65 Millionen Menschen eines Stammes, einer Sprache, eines Willens, die auf so viele und so große Leistungen ihrer selbst und ihrer Vorfahren für die Entwicklung der mensch lichen Kultur Zurückschauen können,- wie die Deutschen. Wir haben schon bei früheren Erlesenheiten darauf auf merksam gemacht, daß weiterblickende Politiker auch auf der feindlichen, namentlich der englischen Seite es offen eingestehen: bisher hat Deutschland mit seinen Bundes genossen gesiegt. Vor allen Dingen sei an einen so be deutenden Mann wie den Herausgeber des „Observer" und anderer Blätter in England, Earvin, erinnert, der ge sagt hat, der Vierverband sei so lange der besiegte Teil, wie Deutschland im Verein mit dem übrigen Mitteleuropa die Verbindung mit dem Orient behauptet. Earvin hielt seinen Aufsehen erregenden Vortrag in der Kolonialgesellschaft in London im Sommer 1916; Anfang Januar 1917 lasen wir in einem anderen englischen Blatt von Bedeutung, dem „New Statesman", über Deutschlands Weltstellung und die Frage, des Friedenschlusses unter diesem Gesichtspunkt die folgenden, lebhaft an Earvin erinnernden Ausführungen: 1. Der Krieg im Westen hat deutlich erkennen lassen, daß der Besitz eines überwältigend großen.Angriffsheeres die einzige Form militärischer Vorbereitungen ist, die Wert hat. Die Nation, die das größte Heer innerhalb der möglichst kürzesten Zeit nach der Kriegs erklärung oder besser noch vor der Kriegserklärung mobilisieren kann, braucht lediglich in das feindliche Gebiet einzurücken und sich dann einzugraben. Wenn dies geschehen ist, so hat das angegriffene Land keine andere Wahl mehr als einen Erschöpfungskrieg, der wahr- sckninlich verschiedene Jahre dauert, zu führen, oder sich als ge schlagen zu bekennen und Frieden auf Grund der Bedingungen des Angreifenden zu machen. t 2. Der Krieg im Osten hat deutlich gezeigt, daß Rußland, wenn gleich noch immer unbesiegbar, keine Militärmacht ersten Ranges ist, wenn es nicht durch Verbündete unterstützt wird, und daß es mindestens während der Dauer von zwei Generationen auch nicht zu solcher Militärmacht werden kann. Infolgedessen kann Deutschland auch nicht länger im Zaum gehalten werden durch die Furcht vor den „russischen Horden". 3. Der Krieg Im Südosten hat bewiesen, daß Frankreich und England nicht mit Deutsch land auf dem Balkan wetteifern unb nicht unmittelbar wirksam eingreifen können, da Deutschland einen natürlichen Vorteil in seinen guten Landverbindungen von Berlin nach dem Bosporus besitzt. 4. Der Krieg hat gezeigt, daß Deutschland ein viel kräftigerer Militärstaat ist, als wir vermutet hatten, und vielleicht sogar als Deutschland selbst glaubte, und daß die Va sallenvölker im Kampfe im allgemeinen zuver lässig sirch, wenngleich die aus diesen Vasallen völkern gebildeten Regimenter nicht so wertvoll sind wie die deutschen Regimenter, und daß sie sich unter deutscher Führung ausgezeichnet schlagen. 5. Es muß die Tatsache festgestellt werden, daß der Glaube an Deutschlands Macht im Kriege sich in ganz Südosteuropa außerordent lich verstärkt hat. Diese Tatsache wird die Lage Europas beherrschen, solange die militärische Kraft Deutschlands ungebrochen bleibt, und das ist es, was die Verbündeten meinten, wenn sie erklärten, daß sie nicht für Kriegsziele kämpfen, sondern für den Sieg. Man ver gegenwärtige sich nur, was diese Tatsachen be deuten. Angenommen, daß Deutschland jetzt bereit wäre, Frankreich und Belgien zu räumen und diesen beiden Ländern eine Schadenver gütung zu bezahlen, ferner Russisch-Polen, die baltischen Provinzen und Serbien zu räumen, und angenommen, daß Österreich be reit wäre, das Trentino an Italien abzutreten, endlich angenommen, daß Deutschland sogar bereit sei, Elsaß-Lothringen mit Frankreich zu teilen, Triest Italien zuzugestehen und von der Rückgabe einiger Kolonien abzustehen, so sind das Bedingungen, die naturgemäß weit über das hinausgehen, was Deutschland zu bieten gedenkt; aber selbst dann würde Deutsch land zweifelsohne den Krieg gewonnen haben, denn es würde in Wirklichkeit der Herrscher des europäischen Festlands sein, ohne daß die Mög lichkeit bestände, daß ihm diese Oberherrschaft bestritten würde. Befreit von der Furcht vor den russischen Millionen, und an der Westgrenze durch ein Laufgrabensystem geschützt, würde sein Wort Gesetz werden von der Nordsee bis zum Schwarzen Meere. Mitteleuropa könnte ebenso sicher und bequem gegründet werden, wie das Deutsche Kaiserreich nach dem Krieg von 1870, und nichts könnte seine Ausdehnung über den Balkan nach El Arisch und nach Bagdad verhindern: denn die kleinen Balkan staaten haben wohl gelernt, Berlin keinen Wi derstand zu bieten und erfahren, daß die jenigen, die dennoch Widerstand leisten, keine Hilfe finden. Die Türkei aber kann ihre Eri- stenz nicht sichern ohne die gnädige Gunst Deutschlands. Mit einer solchen strategischen Lage und derartigen Hilfsmitteln wird Deutsch land imstande sein, während der nächsten zehn Jahre nicht der Welt, wohl aber Europa die Gesetze vorzuschreiben. Großbritannien wird unabhängig und ziemlich sicher bleiben; die ent blößte ägyptische Grenze könnte verstärkt wer den. Aber das übrige Europa würde der Gnade Deutschlands überliefert werden. Wie würde es dann den kleinen Staaten ergehen, und wie lange würde es dauern, bis Deutschland be schließen würde, diese Länder, die es als seine natürliche Grenze ansieht, zu besehen? Man sieht, daß diese Darlegung offen sichtlich übertrieben ist. Niemand in Deutschland oder sonst in der Welt wird so kindlich sein, daß er einen Frieden unter solchen Bedingungen, wie sie der „New Statesman" an nimmt, als einen deutschen Erfolg betrachtet. Der „New Statesman" aber zeigt uns die Tiefe der englischen Besorg nis vor unserer.Zukunftsweltstellung nach dem Kriege. Er zeigt uns, was England vor allen Dingen fürchtet, und was es darum um jeden Preis zu verhindern sich bemüht: die dauernde Verbindung Deutschlands mit dem Orient. Der Orient soll Englands Machtgebiet bleiben. Die Engländer unterscheiden den „nahen" und den „mittleren" Osten. Der erstere reicht vom Balkan bis Suez, der andere von Suez bis Singapore. Bleibt der nahe Orient mit Mitteleuropa