Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Achter Band. (Achter Band)

Die Geschichte des Weltkrieges 1914/18 
«Kortletzung, 
In Frankreich schlug die Erregung über die Erfolge der 
Deutschen an der Westfront so hohe Wogen, daß sie drohte, 
den Ministerpräsidenten Clemenceau und selbst den Ober 
kommandierenden Foch hinwegzuspülen. Die Regierung 
suchte deshalb zu beschwichtigen. Am 4. Juni trat in 
Versailles wieder der Oberste Kriegsrat zu einer Beratung 
zusammen, woran unter anderen teilnahmen für England 
Lloyd George, Lord Milner und General White, für 
Frankreich Clemenceau, Pichon, Foch, Pötain und Weygand, 
für Italien Orlando, Sonnino und Robilant, für die Ver 
einigten Staaten und Japan außer den Botschaftern noch 
der amerikanische General Bliß. Die Versammlung mußte 
bekennen, daß die „Umstände für den Verband der freien 
Völker recht ernst seien", eine Erklärung für die unleug 
bar großartigen Erfolge der Deutschen aber fand sie durch 
den Hinweis auf den Ausfall von Rußlands Heer und 
Flotte. Dem stellte jedoch eine Woche später im deutschen 
Reichstage der Kriegsminister v. Stein treffend entgegen, 
daß nicht der Zusammenbruch Rußlands eine schwierige 
Lage der verbündeten Feinde an der deutschen Westfront 
geschaffen habe, sondern 
im Gegenteil die Hilfe 
Rußlands den Wider 
stand der Westmächte 
gegen Deutschland erst so 
lange ermöglicht hätte. 
Dem General Foch 
sprach der Kriegsrat das 
Vertrauen aus, im übri 
gen aber setzte er seine 
Hoffnungen erneut auf 
die Hilfe, die aus Ame 
rika kommen sollte. Das 
genügte der französischen 
Kammer allerdingsnicht, 
die eine eingehende Aus 
sprache über die militä 
rische Lage herbeiführen 
wollte^ Doch Clemenceau 
verstand es, die geplante 
Erörterung zu verhin 
dern und die Kammer so 
gar zu einer Vertrauens 
erklärung für ihn zu be 
stimmen. Damit war das 
Unheil zunächst wieder 
gebannt, das sonst auch 
weitere Kreise mit in den 
Strudel gerissen haben 
würde: denn Foch, Pö- 
cain und andere hohe 
Generale stützten den 
Ministerpräsidenten, der 
-ihnen wie keiner vorher 
Handlungsfreiheit erstrit 
ten und die Unterord 
nung der Engländer un- 
4er den französischen 
Befehl erreicht hatte. 
'Clemenceau wiederum 
sahinihnendie geeigneten 
Männer für die Durch 
führung des bei seinem 
Regierungsantritt so laut 
-verkündeten Rachefeld- 
, zuges gegen Deutschland. 
Die Erschöpfung der Deutschen, die Ansammlung einer 
Bereitschaftsarmee und die amerikanische Hilfe waren die 
■ bret Voraussetzungen für den Endsieg gewesen, deren Vor 
handensein sich Lloyd George in seinen vielen Reden zu 
-beweisen bestrebte. An die Erschöpfung der Deutschen 
-glaubte aber nach den letzten Ereignissen niemand mehr, 
und eingestandenermaßen war die Gefahr, die Frankreich 
rin diesem Augenblick von den Deutschen drohte, noch nie 
ffo groß gewesen wie um diese Zeit. Die Bereitschafts- 
VIII. Band. 
divisionen des Generals Foch waren zu unheilvoller Zer 
splitterung gezwungen worden und zum größten Teil ab 
gekämpft. Die amerikanische Hilfe wurde bei weitem nicht 
mehr jo hoch eingeschätzt, wie dies die Regierungen der 
Verbandsländer gewünscht hätten. Ein englischer Kritiker 
schrieb sogar: „Solange die Truppen nicht einen gewissen 
Grad von Tüchtigkeit in Organisation, Zucht, Führung und 
technischer Leistungsfähigkeit erreicht haben, sind sie bei 
der Verwendung in der Front nur im Wege. Die Deutschen 
gestalten absichtlich den Kamps durch Giftgase, flüssiges 
Feuer, nächtliche Bombardierungen und andere höllische 
Kniffe so furchtbar und nervenzerrüttend, daß nur die aller 
besten Truppen standhalten können. Es ist daher, mag es sich 
um Amerikaner oder andere handeln, zwecklos, mit bloßen 
Zahlen zu rechnen, um die Deutschen zu überwinden." 
Clemenceau hegte vielleicht selbst geheime Zweifel. Er 
sorgte dafür, daß ein Verteidigungsausschuß für die Stadt 
Paris gebildet wurde, denn die Franzosen zogen bereits 
einen Angriff der Deutschen auf Paris in den Kreis ihrer 
Berechnungen. Schon wenn die Hauptstadt nur in die 
Feuerlinie der deutschen 
Geschütze geriet, war es 
mit dem Bestehen des 
wesentlichsten Teiles der 
feindlichen Kriegsindu 
strie vorbei: stand der 
wirtschaftlich und mili 
tärisch wichtigste Punkt 
des Landes, der alle lei 
tenden militärischen und 
wirtschaftlichen Einrich 
tungen beherbergte, dem 
alle Verkehrsverbindun 
gen zustrebten, der der 
Hauptstapel- und Lager 
platz, die Hauptoersor- 
gungsquelle sämtlicher 
feindlichen Armeen in 
Frankreich war, im Feuer 
deutscher schwerer Batte 
rien, dann mußten Wir 
kungen von gewaltiger 
Tragweite eintreten. Der 
Verteidigungsausschuß 
ließ sich deshalb ange 
legen sein, weitere große 
Teile der Pariser Bevöl 
kerung abzuschieben und 
faßte auch die Verlegung 
der Kriegsindustrie ins 
Auge. — 
Während sich die 
französische Heeresleitung 
schon der Hoffnung hin 
zugeben begann, daß in 
der deutschen Angriffs 
bewegung ein Stillstand 
von längerer Dauer ein 
getreten fei, rüsteten sich 
dieDeutschenunterGene- 
ral v.Hutier schon wieder 
zu einem außerordentlich 
kräftigen Schlag, der die 
3. französische Armee 
unter General Humbert 
zwischen Montdid'er und 
Royon traf (siehe die Bilder Seite 370 und 371). War 
die ganze Lage in diesem Abschnitt doch so, daß sie 
neue Kämpfe gebieterisch erheischte. Infolge der letzten 
Zusammenstöße und der durch sie entstandenen Front 
veränderungen trafen die von Montdidier nach Südwesten 
und die von Soissons (siehe die Kunstbeilage) nach Nord 
westen verlaufenden Frontlinien im Raume von Royon 
ungefähr rechtwinklig aufeinander. Aus dieser Winkel- 
stellung erwuchs für die Deutschen die Gefahr von Flanken- 
47 
Phvl. ivitd- und Fuitt-A.ui 
Zwischen Aisne und Marne von den Deutschen völlig unversehrt erbeutetes Riesen» 
geschützt
	        
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