Volltext: Der Weltkrieg der Dokumente

Deutschlands Vereinsamung. 1902—1914 
208 
maligen Botschafters in London, Grafen Metternich, würde die eng 
lische Regierung sich wohl hüten, Deutschland gewaltsam noch mehr 
in die Arme Rußlands zu drängen. „Was die Zukunft birgt, weiß 
niemand. Soweit sich aber an der Hand der Tatsachen und der ge 
gebenen Verhältnisse ein Urteil bilden läßt, ist weder Aussicht für 
eine russische Anleihe in London, noch für eine russisch-englische 
Verständigung mit dem Bindeglied Delcasse vorhanden.“ Man 
müsse daher gegenüber der erbitterten und voreingenommenen 
Stimmung in England ruhig abwarten, meinte Metternich 1 . 
Im Osten Europas vollzog sich 1903 eine gewisse Entspannung, 
indem sich Rußland, das den Rücken für seine ostasiatischen Pläne 
frei haben wollte, und Österreich-Ungarn über ihre Balkanpolitik 
einigten. Die beiden Kaisermächte verabredeten im Februar 1903 ein 
der türkischen Regierung zu überreichendes Reformprogramm. Bald 
darauf schuf die tödliche Verwundung des russischen Konsuls 
Tscherbina in Mitrowitza durch einen fanatischen Albanesen eine 
neue Verschärfung der Lage. Rußland forderte von der Türkei Ge 
nugtuung und drängte auf eine gewaltsame Niederwerfung des alba 
nischen Aufstandes. Zeitweise drohte ein bewaffneter Konflikt zwi 
schen der Türkei und Bulgarien auszubrechen. Die Kriegsgefahr lag 
darin, daß die Türken überzeugt waren, Rußland werde im Falle eines 
türkisch-bulgarischen Krieges keine Hand für Bulgarien rühren. 
Im August 1903 führte die Ermordung des russischen Kon 
suls Rostkowsky in Monastir durch einen türkischen Wachtposten 
zu einer russischen Sühneforderung und zum Einlaufen einer russi 
schen Flotte in die türkischen Gewässer. Nunmehr lenkte die Pforte 
ein, und die russische Flotte wurde nach Sebastopol zurückgezogen. 
Fast schien es im Herbst 1903, als wenn ein großer Balkankon 
flikt ausbrechen sollte. Um die Frage, ob die Großmächte eine Bot 
schafterkonferenz einberufen oder andere dringende Schritte unter 
nehmen sollten, wurde während des ganzen Monats September 1903 
hin und her verhandelt. Für Deutschland schien die Hauptsache, in 
naher Fühlung mit Österreich zu bleiben, da die russische Balkan 
politik wie in allen früheren Jahren so auch 1903 undurchsichtig und 
zweideutig blieb. Ein Besuch des deutschen Kaisers am 18. und 
19. September bei Kaiser Franz Joseph in Wien bot Gelegen 
heit zu Besprechungen Bülows mit dem Grafen Goluchowski. 
Hierbei wurde es klar, daß Österreich-Ungarn die Bildung 
eines Groß-Serbiens oder Groß-Montenegros unter keinen Umstän 
den zulassen und auch Konstantinopel nicht an Rußland fallen 
lassen wollte. Von dem Augenblicke an, meinte Graf Goluchowski, 
wo Rußland in Konstantinopel stände, oder zwischen Adria und 1 
1 Gr. Pol. Nr. 5376.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.