Volltext: Der Weltkrieg der Dokumente

Das Jahr 1903 
Donau ein großer slawischer Staat sich bilde, sei Österreich nicht 
mehr zu regieren; die zentrifugalen slawischen Elemente würden es 
auseinandersprengen; bevor Österreich die eine oder andere dieser 
beiden Möglichkeiten zulasse, würde es lieber an das Schwert appel 
lieren 1 . Als Zukunftsideal schwebte ihm dabei offenbar vor, „die 
türkische Herrschaft allmählich durch autonome Staatswesen zu er 
setzen und ein möglichst großes Griechenland, ein großes Rumänien, 
ein großes Bulgarien, ein schwaches Serbien, ein kleines Montenegro 
und schließlich auch ein selbständiges Albanien zu schaffen“. 
Bald nach dem Besuche Kaiser Wilhelms II. in Wien traf der 
Zar in der österreichischen Hauptstadt ein. Begleitet von ihren 
Außenministern reisten die Monarchen zur Gemsjagd nach Mürzsteg. 
Das Ergebnis der dortigen Besprechungen waren die „Mürzsteger 
Punktationen“ vom 2.0ktober 1903 1 2 . Die beiden Kaisermächte 
einigten sich dahin, der Pforte ein gemeinsames Memorandum über 
reichen zu lassen. Möglichst lange Hinausschiebung weiterer Gebiets 
veränderungen auf dem Balkan, scharfer Druck auf die Türkei zur 
Durchführung der Reformen in Mazedonien und die Schaffung einer 
mazedonischen Gendarmerie unter europäischen Offizieren bildeten 
den Hauptinhalt der Mürzsteger Verabredungen. Deutschland ent 
hielt sich jeder Einwirkung auf die Einzelheiten des Reformpro 
gramms. Erst auf das wiederholte Drängen Rußlands und Öster 
reichs hat sich Kaiser Wilhelm II. im Januar 1904 bereitfinden lassen, 
sich an der im Mürzsteger Programm festgelegten Reorganisation 
der Gendarmerie durch Stellung eines deutschen Stabsoffiziers, des 
Majors v. Alten, zu beteiligen. Auch gelegentlich des Besuches, den 
der Zar am 4. und 5. November 1903 dem deutschen Kaiser in Wies 
baden und in Wolfsgarten bei Darmstadt abstattete, kam immer 
wieder die Geneigtheit der deutschen Politik zum Ausdruck, die 
Türkei auf den einzig richtigen Weg, nämlich auf die Befolgung der 
Ratschläge Österreichs und Rußlands, hinzuweisen. So blieb der 
Türkei schließlich nichts anderes übrig, als dem Drucke der beiden 
Großmächte zu weichen und in eine Reorganisation der Gendarmerie 
zu willigen 3 . 
Diejenigen Persönlichkeiten der deutschen Politik, die an eine 
Annäherung Englands an Frankreich nicht recht glauben wollten, 
unterschätzten den persönlichen Einfluß König Eduards VII., der 
nicht nur bei seinen Reisen — so weilte er vom 1. bis 4. Mai 1903 
wiederum in Paris —, sondern auch bei sonstigen Anlässen seine po 
litischen Ziele klar im Auge behielt und jede Gelegenheit benutzte, 
um sie zu fördern. So vermochte er die Abneigung der französischen 
1 Gr. Pol. Nr. 5609. 
2 Gr. Pol. Nr. 5611, 5612. 
3 Gr. Pol. Nr. 5614—5639. 
U Schwertfeger, Der Weltkrieg der Dokumente 
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