Volltext: Der Weltkrieg und die politischen Gedankengänge Europas [30]

nervös m ewigen Zweifeln herumwirft und nichts so unmittel¬ 
bar empfindet, als seinen hoffnungslosen Verfall; im Hinter¬ 
hause Europas, wie ein Ausspruch Börners lautet, „ein Volk 
von Bedienten", nach vorne gegen die Meere hin die hohen 
Herrschaften m geräumigen Gassenwohnungen, dieser im Glanze 
einer nebulösen Rückerinnerung schimmernde, aber durch die 
Gründung des Deutschen Reiches traumhaft entschwundene 
Dlplomatenwahn ist der lichtvolle Prospekt, nach dessen Kon¬ 
turen ine tonangebenden Meister des Vernichtungsgedankens 
das Idealbild des ewigen Menschheitsfriedens deuten. 
IV. Der „preußische" Militarismus. 
„Viele Wunder füllen den Erdkreis, wunderbarer keines 
als der Mensch". So habe ich es einst in glücklicheren Tagen bei 
Hermann Lotze gelesen. Aber trotzdem sei vorsichtig, du liebes 
Menschenkind, und laß dich von diesem Wunder nicht ver¬ 
führen. Denn die goldenen Früchte des Menschheitsbaumes 
pflückst du doch nur in den Träumen deines Humanitäts- 
ideals, und, was sich so vortrefflich als Tableau ausnimmt, 
droht im Gemenge der menschlichen Interessen wieder zu ver¬ 
löschen. Es ist ein harter Zusammenstoß, wenn die Ehrfurcht 
vor dem Begriff der Humanität dem Trompetenstoß des 
Völkerhasses begegnet. Mancher ist daran Pessimist geworden 
und hat, wie Schoppenhauer, die historische Wissenschaft als 
die Geschichte der europäischen Katzbalgereien abzutun gelernt. 
Ans scheint es freilich auch ohne diese Erregung, die so gar 
keine Befriedigung bietet, zu gehen, vielmehr, wie es Kant 
tat, mit einer löblicheren Betrachtung irrt Lichte milderen 
Rachslnnens ebenso gut, wenn nicht besser. Und dann sagt man 
sich, daß aus so krummem Holze, aus dem der Mensch gemacht 
ist, nichts Gerades gebogen werden kann, man begreift, daß 
die Menschen anders leben, weben und streben, als dies den 
Konsequenzen ihrer Theorien über sich selbst entsprechen würde 
und man erstaunt nicht mehr, wenn es offenbar wird, daß 
Menschenliebe im allgemeinen und Menschenverachtung im 
besonderen zwei ebenso nebeneinander liegende Gefühle sind 
wie Friedensliebe und Völkerhaß. 
Vor 43 Jahren hat Moltke den Ausspruch getan: „Was wir 
ln einem halben Jahre mit den Waffen errungen haben, das 
mögen wir ein halbes Jahrhundert mit den Waffen schützen, 
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