Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1930 (1930)

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Eva iLitzlsehlnerin, die unglückliche 
Ganglbauerin van -Sikking 
bei Puchheim. 
Lin großer Morclprozeß beim puchheimer Pfleggericht 1762. 
Von Pater Josef Brannsberger, Puchheim. 
Nichts lustiger als in alten Büchereien verstaubten Schriften 
unserer Voreltern nachspüren. So kam mir kürzlich ein dickes Bün¬ 
del uralter Gerichtsakten unter. In verblaßten Schriftzügen steht 
am Titelblatt: „Kriminalprozeß, so mit Eva Litzlsehlnerin, Bäurin 
am Ganglgut in Sikking in Strafsachen wegen versuchten Selbst- 
und Menschenmordes, schließlich wirklich vollbrachten Kindesmordes 
allhier 1762 durchgeführt worden." 
Das geheimnisvolle Bündel enthielt ungefähr 40 Aktenstücke, 
Anzeigen, Verhörprotokolle, ärztliche und rechtliche Gutachten und 
Urteilsurkunden. Ueberall die Unterschriften, überall die Siegel, 
meist so srischrot wie von gestern. Und die Papiere so säuberlich bei¬ 
sammen, daß ich vermute, seit anderthalb hundert Jahren hat keine 
Menschenhand darin gestöbert. 
Was es da gegeben hat — was vor 160 Jahren grausiges 
Tagesgespräch diesseits und jenseits der Aurach gewesen — das 
mußte ich wissen. Und als ich es nach mühsamem Entziffern wußte 
— war mir klar, daß das auch tausend andere Leute interessiert. 
Darum, und aus Mitleid mit der unglückseligen Eva, diese Ver¬ 
öffentlichung. 
Was war denn also im stillen Sikking droben geschehen? Am 
Spätnachmittag, Montag, 28. November 1761, eilte eine junge Frau 
vom Traunsall her durch die Hölzer und Felder über Heiöach gen 
Sikking. Ausfallend verstört und vergrämt schaut sie drein. Sie blickt 
kaum rechts noch links, sondern stürmt in ruheloser Hast den Sikkin- 
ger Berg hinab. Sie rennt durch Wankham und Dornet (Agersteg 
gab's noch keinen!). Sie rennt über die Brücke, rennt durchs Dürft, 
sie läuft schnurstracks zur Puchheimer Psleggerichtskanzlei im Schlo߬ 
turm. Sie begehrt Herrn Pfleger Johann Stephan Kräkowitzer zu 
sprechen. Da dieser abwesend ist, begehrt sie Herrn Andrä Härtl, 
Kanzleischreiber. Vor diesem gibt sie an, daß sie heute nachmittag 
einen kleinen Buben in den Traunsall geworfen habe. Ja, wer sie 
denn sei und warum sie das getan habe? fragt der Schreiber. „Ich 
will und mag nicht mehr leben!" seufzt sie, „ich mag nicht mehr nach 
Sikking, ich will weg von der Welt!" Unter Schluchzen wiederholt 
sie diese Aussage vor dem Hosschreiber Ferdinand Grundner, der 
beigezogen worden war. „Damit ich wegkomme von dieser Welt, wo 
mich nichts mehr freut, habe ich heute ein Kind aus der Wiegen
	        
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