60 Eva iLitzlsehlnerin, die unglückliche Ganglbauerin van -Sikking bei Puchheim. Lin großer Morclprozeß beim puchheimer Pfleggericht 1762. Von Pater Josef Brannsberger, Puchheim. Nichts lustiger als in alten Büchereien verstaubten Schriften unserer Voreltern nachspüren. So kam mir kürzlich ein dickes Bün¬ del uralter Gerichtsakten unter. In verblaßten Schriftzügen steht am Titelblatt: „Kriminalprozeß, so mit Eva Litzlsehlnerin, Bäurin am Ganglgut in Sikking in Strafsachen wegen versuchten Selbst- und Menschenmordes, schließlich wirklich vollbrachten Kindesmordes allhier 1762 durchgeführt worden." Das geheimnisvolle Bündel enthielt ungefähr 40 Aktenstücke, Anzeigen, Verhörprotokolle, ärztliche und rechtliche Gutachten und Urteilsurkunden. Ueberall die Unterschriften, überall die Siegel, meist so srischrot wie von gestern. Und die Papiere so säuberlich bei¬ sammen, daß ich vermute, seit anderthalb hundert Jahren hat keine Menschenhand darin gestöbert. Was es da gegeben hat — was vor 160 Jahren grausiges Tagesgespräch diesseits und jenseits der Aurach gewesen — das mußte ich wissen. Und als ich es nach mühsamem Entziffern wußte — war mir klar, daß das auch tausend andere Leute interessiert. Darum, und aus Mitleid mit der unglückseligen Eva, diese Ver¬ öffentlichung. Was war denn also im stillen Sikking droben geschehen? Am Spätnachmittag, Montag, 28. November 1761, eilte eine junge Frau vom Traunsall her durch die Hölzer und Felder über Heiöach gen Sikking. Ausfallend verstört und vergrämt schaut sie drein. Sie blickt kaum rechts noch links, sondern stürmt in ruheloser Hast den Sikkin- ger Berg hinab. Sie rennt durch Wankham und Dornet (Agersteg gab's noch keinen!). Sie rennt über die Brücke, rennt durchs Dürft, sie läuft schnurstracks zur Puchheimer Psleggerichtskanzlei im Schlo߬ turm. Sie begehrt Herrn Pfleger Johann Stephan Kräkowitzer zu sprechen. Da dieser abwesend ist, begehrt sie Herrn Andrä Härtl, Kanzleischreiber. Vor diesem gibt sie an, daß sie heute nachmittag einen kleinen Buben in den Traunsall geworfen habe. Ja, wer sie denn sei und warum sie das getan habe? fragt der Schreiber. „Ich will und mag nicht mehr leben!" seufzt sie, „ich mag nicht mehr nach Sikking, ich will weg von der Welt!" Unter Schluchzen wiederholt sie diese Aussage vor dem Hosschreiber Ferdinand Grundner, der beigezogen worden war. „Damit ich wegkomme von dieser Welt, wo mich nichts mehr freut, habe ich heute ein Kind aus der Wiegen