Volltext: Wie steht es mit Polen? [49]

auf Erfolg der nationalen Bewegung. Die inneren Verlegen¬ 
heiten, die in Rußland der auswärtigen Niederlage folgten, 
gaben in Polen nicht, wie mancher wohl erwartet hatte, das 
Signal zu einer Erhebung, sondern deckten nur die Gefahr der 
drohenden sozialen Revolution auf. Nun flüchtete sich die er¬ 
schreckte Gesellschaft zu der einzigen noch vorhandenen Autorität, 
zum russischen Staat, der ja nicht mehr der brutale Lenker von 
früher war, sondern in der Duma mit sich reden ließ. So rettete 
man wenigstens die materiellen Interessen, und das war diesem 
Geschlecht, dem die Schwingen der Begeisterung und des Idealis¬ 
mus längst geknickt worden waren, vorerst die Lauptsache. Latte 
es doch die russische Regierung verstanden, dafür zu sorgen, daß 
das innere Rußland das einzige Absatzgebiet der polnischen 
Industrie blieb. In Polen entstand also eine Partei der „Ver¬ 
söhnung" (polnisch: Ugoda). Den größten Eindruck machte es, 
als auch der bedeutendste und angesehenste Führer der National¬ 
demokraten, Roman Dmowski, zu den „Agodowcy" überging und 
seine Freunde dazu hinüberzuziehen suchte. In den wirklich noch 
von nationalem Idealismus beseelten Kreisen konnte nach dieser 
Erfahrung nur Verwirrung und Mutlosigkeit einziehen. 
Die ohnehin auf Mißtrauen gegen das Deutschtum gerichtete 
Stimmung machte die polnischen Kreise auch den Gedanken des 
„Neoslawismus" zugänglich, der Bewegung, die auf einer wirt¬ 
schaftlichen, sozialen und kulturellen Grundlage das Slawentum 
gegen das Germanentum zu sammeln, zu einen und zu stärken 
sucht, ohne in die Fehler zu verfallen, die den alten Panslawis¬ 
mus teils zu einem Zerrbild, teils zu einem russischen Werkzeug 
gemacht haben. Dem Panslawismus hatte sich das Polentum 
mit richtigem Instinkt versagt, aber im Neoslawismus glaubten 
einige die Formel gefunden zu haben, mit deren Lilfe man dem 
Polentum neue Kräfte zuführte, ohne seine Selbständigkeit zu 
gefährden. Vielleicht dachte man dabei auch an den sogenannten 
„Austroslawismus", die Richtung, die den slawischen Nationali¬ 
täten innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie einen 
stärkeren Zusammenhalt und eine ausschlaggebende Stellung sichern 
26
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.