Volltext: Hier spricht der Feind

abend des Krieges von 1870. Diesmal ist jeder fest entschlossen, seine Pflicht zu 
tun, ohne daß dafür eine heftige und übertriebene Kundgebung nötig gewesen wäre. 
Eine neue Nachricht, die sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit augenblicks überall 
verbreitete, versetzte ganz Paris in Erregung. Jean Iaures, Abgeordneter von 
Tarn, Chefredakteur der „HumanitL", der große sozialistische Redner, war ermordet 
worden. Dieser Mord hatte sich um achteinhalb Uhr im Cafe Croiffant, an der 
Ecke der Croisiant- und Montmartre-Straße, ereignet. James tafelte in Gesell¬ 
schaft politischer Freunde an einem offenen Fenster, war jedoch von der Straße 
durch einen Vorhang getrennt. Plötzlich sah man einen mit einem Revolver be¬ 
waffneten Arm unter dem Vorhang durchkommen, und zwei Schüsse krachten. 
Iaurös, an der rechten Schläfe getroffen, sank auf die Bank, ohne ein Wort hervor¬ 
zubringen, und starb einige Minuten später. Freunde des Sozialistenführers 
stürzten sich auf die Straße und nahmen den Attentäter fest, der auf die Polizei 
geführt wurde. Dort erklärte er, daß er Georges Villain heiße, 29 Jahre alt und 
Architekturschüler sei und in einem möblierten Zimmer wohne. Er fügte hinzu, aus 
eigenem Antrieb gehandelt und Iaurös getötet zu haben, weil er diesen, seit seiner 
Stellungnahme gegen das Gesetz, das an Stelle der zweijährigen Dienstzeit die 
dreijährige setzen sollte, für einen Feind Frankreichs betrachtete. 
Am l. August, um viereinhalb Uhr, verkündete endlich jemand, der von der Börse 
kam, beim Überschreiten des Boulevard Montmartre: „Die Mobilmachung ist 
an der Post angeschlagen." Und wirklich, eine erbärmliche kleine Depesche auf 
gelblichem Papier ist auf eine Außenfensterscheibe geklebt worden. Sie trägt diese 
handgeschriebenen Worte: „Die allgemeine Mobilmachung ist erklärt, der erste 
Mobilmachungstag ist Sonntag, der 2. August." Männer und Frauen kommen, 
um rasch einen Blick darauf zu werfen, und entfernen sich schleunigst wieder, die 
einen, um ihre letzten Vorbereitungen zu treffen, die andern, um die teuren An¬ 
gehörigen zu umarmen, die sie bald verkästen sollen. 
Die Tatsache ist unbestreitbar, obwohl sie auf den ersten Blick sonderbar erscheint: 
die herrschende Empfindung seit der offiziellen Bekanntmachung der Mobil¬ 
machung war ein Gefühl der Erleichterung. Der Alpdruck des drohenden Krieges 
hat seit einigen Jahren so schwer auf unseren Landsleuten gelastet, so viele von 
ihnen mußten in ihren Geschäften darunter leiden und wären unfehlbar ruiniert 
worden, wenn dieser Zustand sich noch mehr verlängert hätte! Und dann waren 
die letzten Wochen sehr schwer gewesen; alles ist bester als die Ungewißheit; packen 
wir die Gelegenheit, die sich bietet, Schluß damit zu machen!... Im Rathaus ist 
die Mobilmachung eben bekanntgeworden. Auf den Treppen wandeln durchein¬ 
ander die Ratsherren, die Angestellten jeden Ranges, die Bürodiener, die für den 
ersten Tag einberufen sind. Alle sind glücklich, daß der große Tag gekommen 
ist, keiner zweifelt am Endsieg. Eine einzige Sorge plagt diese Hunderte von 
Menschen, die kämpfen sollen: „Wird England mit uns marschieren?" 
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