Volltext: Schreib das auf, Kisch!

werden mögen. Die Meldung war auch in der Divisionskanzlei 
auszurichten. Auf dem Korridor hielt mich eine Ordonnanz an. 
Was ich hier wolle. Wir erkannten einander: es war ein Herr 
Stohl, dessen Schwestern die Pionierinnen des Hosenrocks und 
des Tango in Prag gewesen waren. Wir sprachen von besseren 
Zeiten, dann trat ich in die Divisionskanzlei ein. Der Ober¬ 
leutnant ließ sich im Schreiben nicht stören. Ich begann meine 
Meldung, als er aufsprang: „Wie heißen Sie?“ Nun wiederholte 
sich die Erkennungsszene, die sich eben vor seiner Tür abge¬ 
spielt hatte. Es war ein Oberleutnant Dr. von Schönfeld, mit 
dem ich viel verkehrt hatte. Schönfeld war eben aus der Kriegs¬ 
schule zum Generalstab ausgemustert worden. Er erinnerte sich, 
daß er mich schon einmal vor zwei Jahren in meiner schäbigen 
Uniform als Kommißkorporal mit zwei hocheleganten Damen 
auf dem Graben gesehen hatte. „Der Bruder der zwei hoch¬ 
eleganten Damen ist Ihre Ordonnanz, Herr Oberleutnant.“ — 
„Wer? Der Stohl?“ Und schon rief er den Stohl herein, und 
wir unterhielten uns in kollegialer Gleichheit. 
Montag, den 10. August 1914. 
Nachts ging unser Schwarm auf Patrouille in die Umgebung 
des Militärmagazins und besetzte dann die Posten in dessen 
Innenräumen, um Automobile, Benzinlager und Stallungen zu 
bewachen. Die ganze Nacht war Kanonendonner zu hören, am 
Morgen ratterten Äroplane durch den Äther, und auch einen 
Meteor sah ich fallen. Eben habe ich die ersten Leichen dieses 
Krieges gesehen. In der Totenkammer des Militärlagers lagen 
zwei Leichen auf Brettern. Einer in Infanteristenuniform des 
73. Regiments, der andere nackt, beide blutüberströmt, von Pro¬ 
jektilen durchlöchert, die Hände gefaltet, beide von unheim¬ 
lichem Gelb, und von Myriaden von Fliegen umschwärmt. 
Ich habe Feldpostkarten gelesen, die die Leute nach Hause 
schrieben. Mich interessierte es, weil man ja nichts Sachliches 
mitteilen darf. Einer schrieb seiner Braut: „Ich ergreife den 
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