Volltext: Ein Volk in Waffen

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Zehntes Kapitel. 
der Last dcs Kreuzes und der Sünden der Menschen. O Eitelkeit der Welt! 
Auf einer Stcintafcl liest man die gut erhaltene Inschrift: „Hane ecclesiam 
Ludovici XIV jussu et pecunia procurante Vauban erectam primär, 
benedixit lapidem 22 martii 1683" . . . usw. Nun waren die Orgeltönc 
verstummt, und von der Kanzel erklangen keine Trostworte mehr; durch die 
offenen Wölbungen klagte nur noch der Wind: „Alles ist eitel." 
Draußen war die Verwüstung ebenso. Hier stand das Skelett eines 
Automobils, dort lag das Gerippe eines Zwcirads ohne Räder unter 
Haufen von Tornistern und Uniformstückcn, zerbeulten Blcchtöpfen, Säbel¬ 
scheiden, Gewehrkolben und -laufen, Kinderspielsachen, Farbenkästen und 
Holzticrcn, Leitungsrohrcn, Balkongelündern und Gittern, Stühlen und 
Tischen, alles in einem Wirrwarr von Steinen, Ziegeln und Schutt. 
Pompeji ist weniger verwüstet als diese Stadt, und mein altes Löu-lan 
iiu Herzen der Wüste, wo die Vernichtung ebenso viele Jahrhunderte 
ihre Ernte gehalten hat wie in Longwy Tage, sieht weniger trostlos aus 
als Vaubans befestigte Stadt! 
In den Straßen war es spukhaft still, nur hier und da tickte es in 
den Fugen, und mit einem scharrenden Laut fielen kleine Steine von 
den Mauern. Der Wind rumorte in den aufgerissenen flachen Dächern, 
ititb die herunterhängenden Dachrinnen nickten wie festgebundene Schlangen. 
Hier und da an einer Ecke war noch ein Straßenname zu lesen: „Rue 
des Ecoles" oder „Rue Stanislas". 
Im Schutt lagen noch Postkarten, gebleicht und zermürbt von Sonne 
und Regen. Ich hob eine auf und las die Adresse: „Nonsieur 
Crombez, Subsistant au 164. de Eigne, Longwy-liaut." Ein Bataillon 
des 164. Regiments lag in Fricdcnszeitcn in Longwy in Garnison. Die 
Karte enthielt nur die Worte: „Le Mans, 22. August. Lieber Kamerad. 
Ich bin glücklich nach Mans gekommen und habe meine Zeugnisse dem Chef 
direkt geschickt. Hoffentlich habe ich bald das Vergnügen, Dich wieder¬ 
zusehen. H. . .." Ob dieser Crombez jemals den Gruß seines Kame¬ 
raden erhalten und das schöne Bild auf der Karte gesehen hat, das 
den Zusammenfluß der Huisne und Sarthe darstellt? Oder steht er in 
den Verlustlisten als tot oder vermißt? 
Den kleinen Platz vor der Kirche umgrenzt ein Viereck von Bäumen. 
Viele von ihnen waren niedergeschlagen und lagen nun da, ein Haufen
	        
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