Volltext: Unteilbar und untrennbar (1,1919)

Die Bukowina Im Kriege. 
Leben der Bürger wird geschont; Bürger,neister, Gemeinderat 
und Bürgerwehr bleiben im Amt; Geiseln werden nicht gestellt. 
Ob ein Einmarsch russischer Soldaten erfolgen sollte, darüber 
gab der Leutnant keinen Bescheid. Um 6 Uhr abends jedoch 
erschien ein Kurier des russischen Kominandos in der Stadt 
und verkündete, daß die Truppen ihm auf dem Fuße folgten. 
Gleich danach kamen sie, von einem Spalier stummer,, 
blasser Einwohner erwartet. Unter dem Takt einer rasselnden 
Blechmusik marschierten etwa 12 Sotnien Tscherkessen, 
dann Kavallerie und Artillerie durch die Hauptstraße dem 
Rathaus zu, auf dessen Stufen der Bürgermeister mit den 
Stadträten und den Vertretern der Geistlichkeit die Vertreter 
der Zarengewalt erwarteten. Als solche erschienen General 
Pawlow und Kosakenoberst Ariutinow. Ein paar Be* 
grüßungsworte des Stadtoberhauptes werden von Ariu- 
tinow mit den Worten „Sprechen Sie russisch !"barsch unter¬ 
brochen. Dann wirft er sich in die Positur „historischer 
Augenblick" und einverleibt kurzerhand die Stadt Czernowitz 
dem russischen Reiche. „Mit Gottes Hilfe erkläre ich im 
Namen des Zaren die Stadt Czernowitz hiemit als dem 
russischen Reiche einverleibt!" sagt er, die Musik spielt die 
Zarenhymne und drei Hurra! auf den Herrscher aller Reußen 
erschüttern die Luft und die Herzen der kaisertreuen Czerno- 
witzer. Ein paar von ihnen nehmen den Hut nicht ab. Ariu- 
tinows Knute schmitzt ihn ihnen vom Kopf. Hierauf hält 
er folgende Ansprache: „Ich lege der Stadt eine Kontribution 
von 600 000 Rubel auf, die in Gold aufzubringen und binnen 
24 Stunden zu leisten ist. Das ist die Revanche für Kamieniec- 
Podolski. Was den Österreichern recht, muß den Russen 
billig sein. Russische Soldaten plündern nicht und begehen 
keine Gewalttätigkeiten gegen Zivilbevölkerung." Da kein 
Zeichen des Himmels gegen diese gotteslästerliche Lüge prote- 
stiert, legt sich der Bürgermeister aufs Unterhandeln und 
Bitten. Ariutinow bleibt hart: „Wenn die Kontribution nicht 
im vollen Umfange bis morgens um? Uhr zustandegebracht 
ist, lehne ich die Verantwortung für das Verhalten der Trnp- 
pen ab und werde die Stadt dem Erdboden gleichmachen." 
Sprach's und ging mit seinem Gefolge in das Rathaus. 
Das waren die historischen Szenen beim ersten Einzug 
der Russen in Czernowitz. Ein Augenzeuge, Herr Re; 
dakteur Julius Weber hat sie in einem spannend ge- 
schriebenen Büchlein „Russen- 
tage in Czernowitz" aus- 
führlich und farbig geschil- 
dert. 
Der Erzbifchof und Metro-- 
polit Dr. von R e p t a war es 
dem eine Herabminderung der 
Kontribution auf die Hälfte 
der geforderten Summe ge- 
lang. Seiner Beredsamkeit 
hatte Ariutinow lange Zeit 
nur ein stereotypes „Krieg ist 
Krieg" entgegenzusetzen — ein 
hohles, schreckliches Wort, in 
dessen Leere jede Grausamkeit 
und Niedertracht bequem Platz 
findet—bis er endlich nachgab. 
Bürgermeister Dr. Weissel - 
berger, der gute Engel 
Stadt in den Tagen der Ruft 
fenbedrängnis, organisierte 
mit Umsicht und Tatkraft 
das Einbringen des hohen Geldbetrages. Auch die Ärmsten 
gaben ihr Teil, die frommen Juden brachten ihre silbernen 
Sabbatleuchter, der Erzbifchof sandte Gold- und Silbergerät. 
Geschäfte, die Edelmetalle und Juwelen feilhielten und deren 
Eigentümer geflohen waren, wurden von Magistratspersonen 
geöffnet und ihr Inhalt, inventarisiert und bescheinigt, der 
Sammlung zugeführt. Als er das viele Geld beisammen sah, 
war General Pawlow sehr gerührt und hielt an die Stadt- 
rePräsentanten eine freundliche, fast herzliche Ansprache. 
Eine Stunde später wurden von russischen Gendarmen 
23 Ezeruowitzer Bürger als Geiseln festgenommen. Pawlow 
sagte ihnen: „Ich will Euer Leben nicht, nur das meine 
sichern." Den Geiseln ging es im übrigen nicht allzu schlecht. 
Sie wurden scharf bewacht, konnten sich aber mit der Außen- 
welt in Verbindung setzen, wenn sie — wie das erwähnte 
Büchlein in rührend-verhüllter Deutlichkeit erzählt — den 
wachehaltenden Soldaten in „verständnisvoller" Weise zu 
behandeln wußten. 
Eine der ersten Verfügungen des neuen militärischen 
Stadtkommandanten — es war dies Kapitän Kirienko, 
dem Kapitän Romanjienko als Garnisonschef zur Seite 
stand, — war ein Erlaß, demzufolge um 8'Uhr abends aller 
Straßenverkehr aufhören mußte. Nach 8 Uhr dröhnte nur 
mehr der schwere Schritt der russischen Patrouillen durch die 
Stadt und der leichtere der noch immer amtierenden Bürger- 
wehr, ein Korps, dessen Mitglieder, nur mit einem Stock 
bewaffnet, Plünderungsversuchen der Soldaten Einhalt zn 
tun bemüht waren. Derartige Interventionen endeten in 
der Regel damit, daß die Soldaten die Bürgerwehr durch- 
prügelten. Die russischen Offiziere hielten auf Ordnung 
und Manneszucht insofern, als sie, wenn sie persönlich einen 
Soldaten beim Plündern erwischten, ihn an Ort und Stelle 
mit der Knute durchkarbatschten; Anzeigen indes hatten 
keinen Erfolg. Um 8 Uhr abends waren alle Häuser fest ver- 
riegelt, ja einzelne ängstliche Bürgersleute hatten hinter 
ihrer ersten noch eine zweite Haustüre zimmern lassen. Im 
Stadtinnern, das während der Nacht elektrisch hell beleuchtet 
war, nützte solche Vorsicht gegen Diebstahlsversuche. An 
der in tiefer Dunkelheit liegenden Stadtperipherie aber 
taten die Soldaten des Zaren, was sie wollten. Und sie 
wollten immer dasselbe: Schnaps, Geld, Weiber.
	        
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