Volltext: Von Tannenberg bis Hellingfors. Polen. Rumänien. Von den Karpathen zum Kaukasus. Die serbische-mazedonische Front. Italienfront. Der Orient (I. / 1935)

Die Eroberung von Osel \9\7 
Es war ein herrlicher Herbst in diesem Jahr. In den livländischen Wäldern stand der herbe Duft 
nordischer Rräuter. Die Sonne verschenkte, schon abschiednehmend, ihre letzte Wärme. Die Soldaten 
lagen auf den Dünen und verfolgten bis zum Horizont den weißen Rüftenstreifen; sie schlenderten 
zwecklos durch die Wälder und machten sich auf Acker und Feld zu schaffen. 
Die Offiziere sagten, man müsse sich jetzt wieder eingraben, damit man für den Winter rechtzeitig 
gerüstet sei. Aber die Gräben blieben in einem kläglichen Zustande. Es war ein geheimer widerstand, 
ein widerwilliges Zaudern in der Truppe. Man wollte nicht wieder in die Erde hinunter. Man wollte 
sich nicht vor diesen Revolutionshelden verkriechen, die, wenn man sie anpackte, wie die Hasen liefen. 
Die Generale hinten hatten in diesem Herbst ihre Gorgen. Das Jahr ging zu Ende, und die russische 
Armee, auf deren Selbstauflösung man so glühend hoffte, stand immer noch fest. Ludendorff drängte, 
er brauchte die Ostarmee dringend für den Westen. Die Dinge trieben dort zur letzten Entscheidung. 
Indessen, für eine weitreichende Offensive war es bereits zu spät im Jahr geworden. Höchstens 
zu einem kurzen zweiten Schlag mit beschränktem Ziel reichte die Zeit noch. 
Es gab eine große Überraschung. Eine Unternehmung zusammen mit der Flotte! — Zur See 
würden sie fahren. Sie freuten sich wie die Rinder. vlun winkte doch noch einmal das Abenteuer. 
Neugierig spazierten sie am Libauer Hafen herum, bewunderten die mächtigen Transportdampfer, 
die an der Raimauer angelegt hatten, ließen sich von den Blaujacken alles erklären und redeten bald 
so klug wie alte Seebären. Auf den gewaltigen Hafenmauern, die weit hinaus in die See führten, 
standen sie. Zu ihren Füßen brandete das Meer. Torpedoboote und Minensuchboote zogen mit langen 
Rauchfahnen hinaus, nach worden. Die Rameraden von der Marine erzählten, daß die Ostsee durch 
Minen verseucht sei. Minensuchflottillen und Räumdivisionen mußten die Wege nach Osel und 
in den Rigaschen Meerbusen, wohin die Schlachtflotte so bald als möglich vorstoßen sollte, säubern 
und freihalten. Es war eine schwere und nervenaufreibende Tätigkeit. Die Besatzungen der kleinen 
Fahrzeuge, die oben an Deck das Gerät bedienten oder unten an den Maschinen oder vor den Feuern 
standen, mußten jeden Augenblick darauf gefaßt sein, daß ihr Schiff auf eine den Suchnetzen ent¬ 
schlüpfte Mine stieß und in die Luft flog. Sie waren Helden stiller Pflichterfüllung. Aber den Ruhm 
ernteten nicht sie, sondern die Rameraden, die auf den großen Schiffen zur Schlacht hinauszogen 
oder die auf den U-Booten oder Torpedobooten nach erfolgreicher Fahrt in den Hafen zurückkehrten. 
Vielleicht übertrieben die Seeleute ein wenig, wenn man ihnen glauben sollte, dann wimmelte 
das Meer von U-Booten, und dahinter lag die ganze russische Flotte auf der Lauer. 
Die Musketiere hörten still zu. Sie spähten hinaus auf die See, ob nicht bereits das Sehrohreines 
U-Bootes in der Ferne auftauche. — 
wochenlang verzögerte das schlechte Wetter den Beginn der Unternehmung. Schon dachte man an¬ 
gesichts der späten Jahreszeit daran, sie aufzugeben. Die Ungeduld stieg aufs höchste. Da änderte sich im 
letzten Augenblick die Wetterlage, die nördlichen winde schlugen nach Süden um, und die Minenräu¬ 
mung konnte rasch zu Ende geführt werden. Am p. und ls. Oktober bestiegen die Soldaten die Schiffe. 
Bis zum Rande waren die Schiffsbäuche gefüllt mit Soldaten, Ranonen, wagen, Pferden und 
Proviant. Ein feindliches Torpedo, eine Mine, die der Sturm losgerissen hatte und die zu unrechter 
Zeit in die Fahrtrinne trieb, würde reiche Beute finden. — 
In endlos langer Riellinie fetzten sich die Schiffe am H. Oktober 1917 auf Osel zu in Bewegung, 
voraus wieder die braven Minensuchflottillen und Räumungsdivisionen, um die Transportstraße 
noch einmal abzusuchen. Dahinter Torpedobootsflottillen mit Infanterie an Bord, die rasch als erste 
an Land geworfen werden sollte, um die Landungsstellen für die Transportflotte zu gewinnen und 
die Ausladung zu decken. Dann kamen die Rolosse der Gchlachtflotte, bereit, sich auf die russische Flotte 
zu stürzen, wenn diese es wagen sollte, die Transportbewegung zu stören. Am Ende schließlich die 
dicken schweren Rauffahrteischiffe mit ihrer kostbaren Ladung an Menschen und Gerät, zu beiden 
Seiten begleitet von kleinen Rreuzern und Torpedobooten, die auf der Suche nach U-Booten wie 
Jagdhunde hin und her flitzten. 
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