Volltext: Heimat

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fürchtete sie. Sie schloss mit der Mutter einen kleinen Geheimbund 
gegen ihn. Unschuldig und nicht unedel in seiner Art. Aber sie 
gewöhnte sich daran, im Ueberlisten nichts Böses zu sehen. So manchen 
kargen Leckerbissen verbargen sie vor ihm. Weil er »eh nur greinat«. 
Und weil er »ja a an an Sunntag ins Wirtshaus geht und d’ Muatta 
a ganze Woch’n nix Guat’s net hat«. — Sie gewann die alte, kranke 
Frau immer lieber, seit ihre eigenen, jungen Schultern einen Teil nur 
ihrer Sorgenmühe zu tragen hatten. In ihrem guten, rasch verstehenden 
Gemüte ahnte sie die ganze grosse Bürde, die das arme, stille Weib, 
lebenslang geschleppt. 
Die Mutter wurde immer schlechter. Und eines Tages starb sie. 
»’s Wasser hat ihr ’s Herz austränkt«, sagten die Leute. — 
Dieses Gerede quälte die Mali besonders. Denn immer verband sich 
damit die Vorstellung einer schmutzigen Flut, die steigt und schwillt 
und über einem Herzen zusammenschlägt, das blutigrot ist wie jenes, 
das der heiligen Maria auf die Brust gemalen ist. Und es schliesst 
alles ein, was sie bisher an Liebe genossen und sie spürt seine Not.. . 
Bis in die Träume hinein verfolgt sie das Schreckbild. Wenn sie 
erwacht, fliegen ihre Pulse und der Schweiss steht in schweren Tropfen 
auf ihrer Stirne — — 
Die Mali trauerte am längsten um die Tote. Aber die Zeit ging 
auch darüber hin . . . 
Die mageren eckigen Formen des jungen Mädchens begannen 
sich zu runden. Die Kleider wurden ihr eng. Ihre blassen Wangen 
bekamen jene zartrosige Farbe, die Knospen haben, wenn sie die 
Hülle sprengen. 
Wenn sich die Genossinnen ihre Liebesgeschichten erzählten, 
dann horchte Mali aufmerksamer zu. Die Mysterien der Geschlechter 
zweisamkeit waren ihr früh und mit derber Umstandslosigkeit enthüllt 
worden. Trotzdem blieb sie gedankenkeuscher, als so manche der 
»Behüteten ihres Alters«, deren Phantasie durch einer Wucht von 
unvernünftig langer Geheimnistuerei erregt blieb. 
Was sie jetzt erlauschte, war nicht mehr, als sie schon wusste. 
Aber nur rieselte es ihr so seltsam dabei über den aufblühenden Leib. 
Wenn sie dann aus dem öden Saal, aus der tabakdunstigen Luft 
hinaustrat in den. Sonnenschein, wenn sie an müssigen, heiteren, ge 
schmückten Menschen vorüberschritt, dann quoll es heiss und ver 
langend auf in ihr: auch einmal leben, geniessen — und einen 
Menschen haben, der zärtlich ist mit ihr und lacht und scherzt und
	        
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