Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1903 (1903)

„komm mit und setze 
Dich einstweilen, ich 
will nur erst noch ein¬ 
mal fragen, ob die 
gnädige Frau meiner 
nicht bedarf." 
Sie führte den Alten 
in ein kleines, behag¬ 
lich ausgestattetes 
Stübchen und eilte in 
banger Sorge um die 
Herrin davon. 
„Frau von Tann¬ 
heim will noch ein 
wenig in den Park 
gehen," berichtete sie 
zurückkehrend, „man 
bedarf meiner heute 
nicht mehr, ich begleite 
Dich nachher ein Stück¬ 
chen, vielleicht kann 
ich Franz gute Nacht 
einige Tage vergebens 
Tannheim stand in drohender Haltung vor seiner Gattin. Jetzt erst erblickte er Ger¬ 
trud, die scheu zurückgewichen war. 
„Was willst Du hier?" herrschte er das Mädchen an „Geh' hinaus. Dein 
Vater wartet draußen auf Dich, ich sah ihn eben in der Vorhalle!" 
Gertrud eilte davon. Sie zitterte heftig, das Aussehen des gnädigen Herrn 
hatte sie erschreckt. Was m ochte das Alles zu bedeuten haben? Gedankenvoll schritt 
sie der mit Oleander- und Lorbeerbäumen gezierten Vorhalle zu, wo der Vater 
sie erwartete. 
„Du kommst jetzt seltener als sonst, mein Kind," begann der Alte in vorwurfs¬ 
vollem Ton, „da trieb mich die Sorge zu Dir herauf, ich fürchtete, es möchte Dir 
etwas zugestoßen sein." 
Zärtlich umschlang d as Mädchen den Alten. 
„Sorge Dich nicht um mich, Vater, mir fehlt nichts, nur kann ich jetzt nicht 
immer weg, wie ich möchte. Du weißt ja/ die gnädige Frau hat ihre Kammer¬ 
jungfer entlassen, und 
da muß ich nun deren 
Stelle vertreten." "X 
„Kind, steht es denn 
so schlimm um die 
gnädige Herrschaft, wie 
die Leute sagen? Ich 
kann's nicht glauben, 
es heißt allgemein, das 
Gut müßte verkauft 
werden?" 
Gertrud nickte. 
„Ich glaube, es ist 
so, die gnädige Frau 
thut mir herzlich leid, 
sie weint fast den gan¬ 
zen Tag." 
Damit winkte sie 
dem Vater, ihr zu 
folgen. 
„Du wirst müde 
sein," fuhr sie fort,* 
sagen, er wird mich wahrfche inlich soeben wie Du, schon 
erwartet haben." 
Der Alte lächelte. 
„Ja, der ist gestern bei mir gewesen, ich kam eigentlich seinetwegen zu Dir 
herauf. Er sorgt sich um Dich, hat mir viele Grüße aufgetragen." 
Ein glücklicher Ausdruck lag auf dem hübschen, frischen Gesicht Gertruds. 
„Nun, das hat ja jetzt die längste Zeit gedauert," meinte sie nachdenklich, „bald 
sind wir ganz vereint." 
Als dann Vater und Tochter im 1 hellen Mondschein den Bergabhang hinab- 
wanderten, sahen sie schon von Weitem die hohe Gestalt des Försters auf sich zukommen. 
Freudig schloß er Gertrud in die Arme. 
„Mein Mädel, mein liebes," flüsterte er, „ich konnte es kaum noch aushalten 
vor Sehnsucht! Wie gut, daß Du nun bald einziehst in das stille Försterhaus."
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.