Volltext: Heimatspiegel [31]

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Weil es nun möglich und durch die Erfahrung auch täglich immer aufs 
neue erwiesen ist, daß durch eine anders geartete Umwelt oder eine 
anderen Zielen dienende Erziehung ein Mensch (vor allem natürlich der junge 
Mensch) von seinem eigentlichen Müssen fortgedrängt und in eine seinem 
Wesen an sich fremde Welt des Handelns hineingezwängt wird, haben wir 
unser Streben darauf zu richten, den Weg zu jener so wichtigen inneren Wahr 
haftigkeit wieder freizumachen, indem wir Vorurteile, Zufälligkeiten und falsche 
Rücksichten wegräumen. Ein wirklicher Charakter kann nämlich nur der 
sein, der dieses innere Müssen in seinem Handeln nicht nur erkennt, sondern 
auch anerkennt; denn in jedem anderen Zusammenhange, dem er sich freiwillig 
oder gezwungen unterwirft, ist er nicht ein Charakter, sondern ein Bediensteter, 
kein freier, eigener Mensch, sondern ein Mietling, am Ende gar lebenslang 
ein Knecht. Erst wenn er sich dem als gut und wertvoll erkannten eigenen 
Erbgut unterwirft und dem mit allen Kräften dient, ist er in einem höheren 
Sinne frei. 
Dr. K. Teutschmann hat diesen Gedanken in einer kleinen Abhandlung eine 
beweisgültige Form gegeben. Er überschreibt sie: 
Bon der freigewollten Notwendigkeit. 
(Etwas gekürzt.) 
Die augenfällige Gesetzmäßigkeit in der ganzen Natur ist über jeden Zweifel 
erhaben. Die fortschreitende wissenschaftliche Erkenntnis hat uns eine Fülle von 
Gesetzen des gesamten Naturgeschehens offenbart und nirgends in ihnen eine 
Freiheit entdeckt, welche imstande wäre, das eine oder andere derselben ge 
legentlich aufzuheben. Auch das vermeintlich freieste Wesen, der Mensch, 
mußte gewahr werden, daß er keine Ausnahme macht, daß auch er, im Leib 
lichen wie im Seelischen, „nach ewigen, ehernen Gesetzen seines Daseins Kreise 
vollendet". Nicht alle fühlen darin eine Schranke, die meisten geben sich damit 
zufrieden. Wir nicht. Die Frage nach dem Ursprünge der Naturgesetze, 
der Gesetze alles Weltgeschehens, läßt sich doch nicht ganz zum Verstummen 
bringen. Es ist nämlich, wenn wir genauer zusehen, in der geläufigen Vor 
stellung der Notwendigkeit eine Unvollkommenheit zu entdecken, über die man 
nicht hinwegkommt, wenn man den Begriff zergliedert. Was ist notwendig? 
Dasjenige, was sein muß. Alles Notwendige ist ein Müssen. Gut. Was heißt 
aber Müssen? Offenbar: Einem Zwange untertan sein. Woher nun wird 
dieser Zwang geübt? Wer das Sein oder unbedingte Reale in seiner 
absoluten Reinheit ersaßt hat, für den gibt es keinen außerhalb desselben zu 
denkenden Zwang. Also, muß für jenen Zwang die bewirkende Ursache i m 
Realen selbst liegen. Mit anderen Worten: Was im unendlichen Bereiche 
des Wirklichen als Notwendigkeit, Gesetzmäßigkeit, Kausalität erscheint, muh 
von einer inneren Bestimmung des Seins, welche das Notwendige setzt, 
herstammen. Die Gesetzmäßigkeit der Natur, die Setzung von Natur- und 
Weltgesetzen, muß also von einer inneren Lenkung auf ein Ziel, das ist von 
einem Willen in ihr selbst kommen, welcher die unverbrüchliche Notwendigkeit 
wählt, weil ohne dieselbe kein Ziel zu erreichen ist. Man stelle 
sich nur eine Natur ohne Naturgesetze vor! Das wäre freilich eine ungebundene 
Freiheit, aber was würde aus dieser entstehen können? Kein einziges Gebilde. 
Denn in dieser Freiheit läge der beständige Anlaß, sich als solche auch fort 
während zu gebärden, von einer stetigen Entwicklung und Weltbildung wäre da 
gar keine Rede, sondern nur von einem unablässigen, ziellos und launenhaft, 
ohne jede Regel, toll und verwegen hin und her springenden Gehaben. Diese 
Freiheit also wäre ein anderes Chaos, aber keine Welt (Kosmos) . . . Um 
Welt zu werden, mußte demnach das Ursein sich s e l b st Gesetz und Regel 
auferlegen, und um das zu können, mußte in ihm selbst die Freiheit der
	        
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