Volltext: Heimatspiegel [31]

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Ganzen — in Formen und Farben scheint in diesen Stätten der Andacht all 
die Größe und Lieblichkeit der umliegenden Natur in verstärktem Maße aufzu 
leben und unser Fühlen und Sehnen nach stiller Schönheit zu befriedigen. Einst 
gab es auf diesen Anhöhen uralte Kultstätten des Volkes-, heilige Steine, heilige 
Bäume. Um ein hell aufloderndes Feuer mögen sich da unsere fernen Vor 
fahren versammelt haben — in der gleichen Art naturverbunden, aber fromm, 
wie ihre fernen Enkel es kaum mehr zu sein vermögen. 
Wenn wir in der Folge kreuz und quer durch unser schönes Heimatland 
ziehen, dann wollen wir die Sorgen und den Lärm des Alltages hinter uns 
lassen, dann wollen wir in uralt deutscher Art wandern— einsam oder zu zweit 
mit einem Menschen, der uns ans Herz gewachsen ist — nicht mit Fahnen und 
Standarten, nicht in großen Gruppen —, sondern besinnlich, in unsere Seele 
schauend. Dann wird uns die allgütige Mutter Natur alles, alles geben — 
und wir werden uns mit ihr eins fühlen. — So denke ich mir Heimatwandern, 
so deutsches Wandern! 
Im Mühlviertel. 
Das Mühlviertel ist so recht das Land der Berge und Hügel, der Aus 
sichtswarten, der hochgelegenen Kirchen und Märkte. Der verträumte Fichten 
wald hat hier seine Herrschaft noch in festen Händen. Zum Walde gesellen sich 
Heideböden und Moorflächen. Die Natur ist hier weitgehend alles — der 
Mensch bescheiden und still. — Von den einsamen Hochwarten an der Grenze, 
vom Dreisessel, vom Plöckenstein und Sternstein, vom Ameisberg, Hansberg 
und Predigerberg, von den wunderbaren Pfarrdörfern: Pfarrkirchen, Kirch 
schlag, Wartberg, Allerheiligen, St. Thomas am Blasenstein . . . aus liegt das 
ganze Land ob der Enns an klaren Tagen vor unseren Augen — seine melan 
cholischen und seine sonnigheiteren Teile, seine stillsten Wälder und seine be 
lebtesten Verkehrsknoten, seine liebliche Anmut und seine heroische Größe. Nur 
an zwei Plätzen des nördlichen Mühlviertels möchte ich etwas länger verweilen 
und zu besinnlicher Betrachtung einladen. 
1. Der Brockenberg (1058 Meter) b e i L i e b e n a u.. In der weiten 
Rundschau ist der ernste Nadelwald tonangebend. Das Land um uns liegt 
weithin zwischen 900 und 1050 Meter. So kommt es, daß wir vermeinen, 
inmitten eines endlosen Waldgebietes zu sein, in dem sich nur hie und da eine 
seichte Mulde einbettet oder ein breiter Buckel maulwurfshügelartig sich auf 
bläht. Der Riesenwald um uns führt den Namen Freiwald. Er ist das letzte, 
noch in sehr großem Ausmaße erhaltene Stück des Nordwaldes . . . Wie einst 
die Glasmacher, so sind jetzt die Holzknechte die Pioniere, welche den Ur 
wäldern an den Leib rücken und sie zu wohlgepflegten Forsten bändigen . . . 
Um den Brockenberg ist die Natur alles — der Mensch klein und bescheiden. 
Das Pfarrdorf Liebenau, seine Nachbarn Sandl und der stolze Wachtturm vom 
Arbersbach — das sind die einzigen stärkeren menschlichen Vorposten im Kampfe 
mit dem Walde —, sonst sind die Fichtenwälder die unbestrittenen Herrscher. 
Schwarzgrün ist der Wald, braun das Moor und nur durch wenige Wochen 
leuchtendrot die Heide. 
2. St. Michael ob Rauhenöd (907 Meter) bei F r e i st a d t ist 
schon viel menschlicher geworden . . . Die Wiesen sind immer noch mit großen 
Granitblöcken besät, die Kirschbäume blühen erst spät im Mai, aber die Höfe 
schließen sich zu ansehnlicheren Vierkantern zusammen, die in ihrem grellen 
Weiß weit hinaus ins Land leuchten . . . Die Wege führen hinab zur Feldaist 
senke, dem breiten Tore zwischen Böhmen und den Donaulanden. An einigen 
einsamen Bauernhöfen vorbei, erreichen wir die altersgraue Totenkirche von 
einst. Die Mauern umschließen heute zwar keinen Friedhof mehr. Längst
	        
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