Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (9, Die Neueste Geschichte / 1929)

Viertes Kapitel 
Das Unterdrückungssystem in Rußland 
§ 21. Die Reaktion in den letzten Regierungsjahren Alexanders I. 
(1815-1825) 
Recht eigenartig waren die Formen, die die allgemein europäische 
Reaktion in Rußland annahm. Der einst liberale Kaiser Alexander I. 
fand sich, zu einem der Triumvirn der Heiligen Allianz geworden, 
mit der sich über ganz Europa ausbreitenden Reaktion sehr leicht ab, 
wobei dem nunmehr von einer mystischen Stimmung beherrschten 
russischen Monarchen insbesondere das Prinzip des christlichen Staa 
tes zusagte. So büßte er in der Schlußperiode seiner Regierung die 
liberalen „Sünden“ der Anfangsperiode und legte den Weg für den 
Absolutismus der folgenden Regierung frei, der das politische und 
geistige Leben in Rußland für dreißig Jahre in eiserne Fesseln schla 
gen sollte. Mit dem Los der östlichen Monarchie war aber das des 
größten Zentrums der Diaspora verkettet. Der Wiener Kongreß hatte 
nämlich die Grenzen des europäischen Rußland bedeutend erweitert 
und ihm den größten Teil des Herrschaftsbereiches des Herzogtums 
Warschau als „Königreich Polen“ angegliedert. Auf diese Weise hat 
ten sich in den westlichen Provinzen des russischen Reiches etwa zwei 
Millionen Juden 1 ) zusammengeballt, eine an ihrer Eigenart zäh fest- 
*) Die amtliche Statistik dieser Epoche läßt an Genauigkeit viel zu wünschen 
übrig. Die im Jahre 1816 und auch später vorgenommenen Nachprüfungen er 
gaben, daß sehr viele Juden unangemeldet geblieben waren, und die Regierung ord 
nete gegen diese „Verheimlichung der Seelen' 4 strengste Repressivmaßnahmen an 
(vgl. Lewanda, Sammlung der die Juden betreffenden Gesetze, Nrn. 87, 96, io5, 
122). Diese Regierungsmaßnahmen hätten der Zuverlässigkeit der amtlichen Sta 
tistik vielleicht zugute kommen können, wenn nicht im Jahre 1827 jene berüch 
tigte Konskription eingeführt worden wäre, die die Juden im Interesse der Selbst- 
erhaltung dazu zwang, möglichst viele in wehrpflichtigem Alter, d. h. in dem von 
12 bis 4o Jahren, stehende Personen (unten, § 22) zu „unterschlagen“. Dies der
	        
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