Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (9, Die Neueste Geschichte / 1929)

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Das Unterdrückungssystem in Rußland 
kündigen. Alexander I. war vom Wiener Kongreß ohne aggressive 
Pläne in bezug auf die Juden zurückgekehrt. Noch waren die von 
ihnen im Laufe des Krieges von 1812 geleisteten Dienste sowie sein 
eigenes Versprechen, ihre Lage zu verbessern (Band VIII, § 48), aus 
seinem Gedächtnis nicht entschwunden. In der Tat wurden gar bald 
Anstalten zu einer Reform getroffen, die zunächst eine Modifikation 
der kanzleimäßigen Erledigung der jüdischen Angelegenheiten im 
Gefolge hatten. Alexander I. stand um diese Zeit unter dem Ein 
fluß seines Kultusministers, des Fürsten Alexander Golizyn, eines 
mystisch veranlagten Pietisten, der die Leitung der russischen „Bibel 
gesellschaft“ innehatte. Im Jahre 1817 wurde Golizyn das mit dem 
Kultusministerium vereinigte Ressort für Volksaufklärung unterstellt 
und zugleich die Verwaltung der jüdischen Angelegenheiten übertra 
gen. Dem so reformierten Ministerium sollte nun ein aus gewählten 
Vertretern der jüdischen Gemeinden bestehendes Beratungsorgan an 
gegliedert werden. Der Anstoß hierzu ging von jenen zwei Vertrauens 
männern des Hauptquartiers, Sonnenberg und Dillon, aus, die, wie er 
innerlich, während des Vormarsches der russischen Armee nach West 
europa unversehens zu „Deputierten“ der Judenheit geworden waren. 
Als Alexander I. ihnen in Bruchsal das Versprechen gab, die Lage 
ihrer Stammesgenossen zu verbessern, befahl er ihnen gleichzeitig, 
nach Beendigung des Feldzugs in Petersburg zu erscheinen, um von 
den Regierungsplänen zwecks Mitteilung an die Kahale unterrichtet 
zu werden. Nach ihrem Eintreffen in der Hauptstadt übernahmen 
denn auch die beiden „Volksvertreter“ die Rolle von Vermittlern zwi 
schen den Gemeinden und der Regierung. Im Bewußtsein jedoch, daß 
sie ihr Amt unbefugterweise ausübten, regten sie die Ausschreibung 
regelrechter Wahlen von Gemeindebevollmächtigten an. Die Regierung 
willigte in den Vorschlag ein, und bald ging den Kahalen der größeren 
Städte von den Gouverneuren die Aufforderung zu, Wahlmänner zu 
ernennen, je zwei für jedes Gouvernement (August 1818). Die 22 
in elf Gouvernements ernannten Wahlmänner traten in Wilna zu 
sammen und wählten aus ihrer Mitte drei Deputierte und ebensoviele 
Ersatzmänner 1 ). Die Wahl fiel auf Sonnenberg und Dillon sowie auf 
x ) Die Gemeinden der polnischen Gouvernements blieben von diesen Wahlen 
ausgeschlossen, da im „Königreich Polen“ eine besondere Landesregierung amtierte 
und auch für die jüdische Bevölkerung eine Sondergesetzgebung bestand (unten, 
§ 27).
	        
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