Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (10, Die Neueste Geschichte / 1929)

§ 3. Die antisemitische Petition und die Exzesse 
schon wiedergegebenen Drohworten entgegentrat: „Auf deutschem Bo 
den ist für eine Doppelnationalität kein Raum“. Durch diese Drohung 
eingeschüchtert, trat Graetz den Rückzug an. In seiner zweiten Ent 
gegnung: „Letztes Wort an Professor Treitschke“ („Schlesische 
Presse“, Nr. 907) bestritt er denn auch nachdrücklichst den ihm vor 
geworfenen Mangel an Vaterlandsliebe ebenso wie das ihm inkrimi- 
nierte Bestreben, die Anerkennung einer besonderen jüdischen Natio 
nalität durchzusetzen: was er verlange, so betonte er, sei die Aner 
kennung der Voll Wertigkeit des Judentums, der jüdischen Religion, 
keineswegs aber der jüdischen Nationalität. Die hierin zutage tretende 
Scheu, sich zu der eigenen Überzeugung zu bekennen, erklärt sich 
nicht nur aus Verantwortungsgefühl gegenüber der jüdischen Gesamt 
heit, sondern auch daraus, daß es dem Historiker an einer klar durch 
dachten, voll ausgereiften nationalen Ideologie gebrach, die er dem 
festen und abgerundeten System der Assimilation hätte entgegensetzen 
können. Graetz lag es in der Tat fern, die staatliche Anerkennung der 
nationalen Rechte des jüdischen Volkes zu beanspruchen, eine Forde 
rung, zu der sich erst die national gesinnten Wortführer der folgen 
den Generationen erkühnten, und zwar jenseits der Grenzen Deutsch 
lands. 
§ 3. Die antisemitische Petition und die Ausschreitungen im öst 
lichen Preußen (1880—1881) 
Die Wühlereien der Stöcker und Marr hatten Früchte getragen. 
Während sich die Gefolgschaft Stöckers aus besonneneren Elementen 
zusammensetzte, die eine Schmälerung der Rechte der Juden durch 
entsprechende Einwirkung auf Parlament und Regierung anstrebten, 
fand Marr mit seiner „Antisemiten-Liga“ bei der Straße Zuspruch, bei 
jenen radaulustigen Vertretern des Kleinbürgertums und der Beamten 
schaft, denen es namentlich um die Einschüchterung der Juden zu tun 
war. Diese Leute waren es vor allem, die in den antisemitischen Ver 
sammlungen lärmten, in den Wirtshäusern jüdisch aussehende Gäste 
anrempelten und selbst auf offener Straße oder in der Stadtbahn ihre 
jüdischen Mitbürger nicht in Frieden ließen. Die um sich greifende 
Bewegung riß auch einen bedeutenden Teil der deutschen Studenten 
schaft mit, jenen nämlich, dessen wichtigsten Lebensinhalt die Mensur, 
das Zechen und der Bierulk bildete. So entstand denn in Berlin ein 
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