Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (8, Die Neueste Geschichte ; 1928)

Einleitung 
Rechte bei Fortbestehen ihrer Abgeschlossenheit für den Staat nur zu 
noch größerem Nachteil ausschlagen könne. Hieraus wurde der Schluß 
gezogen, daß jeder auf die Verbesserung der jüdischen Lebens 
verhältnisse hinzielende Vorschlag aufs sorgfältigste erwogen werden 
müsse und daß die den Juden zu gewährenden Erleichterungen nur 
nach und nach durchgeführt werden dürften, in dem Maße nämlich, 
als sich ihre Kinder und Kindeskinder sich selbst und dem Staate zum 
Nutzen ganz oder wenigstens teilweise gebessert haben würden. Von 
einer solchermaßen instruierten Kommission war allerdings nur we 
nig zu erwarten. Und in der Tat war der von ihr nach zweijähriger* 
Arbeit entworfene ,,Reform“-Vorschlag so beschaffen, daß selbst die 
wenig anspruchsvollen jüdischen Abgeordneten sich auf bäumten und 
die Erklärung abgaben, sie zögen es vor, bei dem alten Reglement zu 
bleiben. Dieses erbärmliche Kanzleielaborat wurde im Jahre 1789 
fertiggestellt, im Geburtsjahre der großen französischen Revolu 
tion (s. unten, § 27). 
Besonders auffällig wurde die Schmach der jüdischen Rechtlosig 
keit in Preußen im letzten Viertel des XVIII. Jahrhunderts, da sie 
nunmehr in schreiendem Widerspruch zu der kulturellen Erneue 
rung der Judenheit, zu der von Mendelssohn inaugurierten Aufklä 
rungsbewegung stand. Mendelssohn selbst, der ruhmreiche deutsche 
Schriftsteller, das Urbild des weisen Nathan, war in staatsbürger 
licher Hinsicht ein rechtloser, nur „geduldeter“ Jude, dessen Aufent 
haltsrecht in Berlin auf seiner Stellung als Buchhalter in einer Fabrik 
beruhte. Seine Zugehörigkeit zum Judentum wurde dem Philosophen 
lediglich „nachgesehen“. Ein grelles Schlaglicht auf die damali 
gen Zustände wirft die von einem Zeitgenossen stammende Schil 
derung der ersten Begegnung des in Königsberg weilenden Mendels 
sohn mit Kant (1777), die in einem Hörsaal der Universität zu 
stande kam: „Ein kleiner verwachsener Jude mit Spitzbart und 
starkem Höcker trat, ohne viel sich um die Anwesenden zu be 
kümmern, doch mit ängstlich leisen Schritten in den Hörsaal und 
blieb unfern der Eingangstüre stehen. Wie gewöhnlich begannen 
Hohn und Spott, die zuletzt in Schnalzen, Pfeifen und Stampfen über 
gingen; aber zum allgemeinen Erstaunen blieb der Fremde auf sei 
nem Platze wie festgebannt, mit einer eisigen Ruhe und hatte sich 
sogar, um seinen Willen, den Professor zu erwarten, deutlich an den 
Tag zu legen, eines leerstehenden Stuhles bedient und darauf Platz 
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