Einleitung Rechte bei Fortbestehen ihrer Abgeschlossenheit für den Staat nur zu noch größerem Nachteil ausschlagen könne. Hieraus wurde der Schluß gezogen, daß jeder auf die Verbesserung der jüdischen Lebens verhältnisse hinzielende Vorschlag aufs sorgfältigste erwogen werden müsse und daß die den Juden zu gewährenden Erleichterungen nur nach und nach durchgeführt werden dürften, in dem Maße nämlich, als sich ihre Kinder und Kindeskinder sich selbst und dem Staate zum Nutzen ganz oder wenigstens teilweise gebessert haben würden. Von einer solchermaßen instruierten Kommission war allerdings nur we nig zu erwarten. Und in der Tat war der von ihr nach zweijähriger* Arbeit entworfene ,,Reform“-Vorschlag so beschaffen, daß selbst die wenig anspruchsvollen jüdischen Abgeordneten sich auf bäumten und die Erklärung abgaben, sie zögen es vor, bei dem alten Reglement zu bleiben. Dieses erbärmliche Kanzleielaborat wurde im Jahre 1789 fertiggestellt, im Geburtsjahre der großen französischen Revolu tion (s. unten, § 27). Besonders auffällig wurde die Schmach der jüdischen Rechtlosig keit in Preußen im letzten Viertel des XVIII. Jahrhunderts, da sie nunmehr in schreiendem Widerspruch zu der kulturellen Erneue rung der Judenheit, zu der von Mendelssohn inaugurierten Aufklä rungsbewegung stand. Mendelssohn selbst, der ruhmreiche deutsche Schriftsteller, das Urbild des weisen Nathan, war in staatsbürger licher Hinsicht ein rechtloser, nur „geduldeter“ Jude, dessen Aufent haltsrecht in Berlin auf seiner Stellung als Buchhalter in einer Fabrik beruhte. Seine Zugehörigkeit zum Judentum wurde dem Philosophen lediglich „nachgesehen“. Ein grelles Schlaglicht auf die damali gen Zustände wirft die von einem Zeitgenossen stammende Schil derung der ersten Begegnung des in Königsberg weilenden Mendels sohn mit Kant (1777), die in einem Hörsaal der Universität zu stande kam: „Ein kleiner verwachsener Jude mit Spitzbart und starkem Höcker trat, ohne viel sich um die Anwesenden zu be kümmern, doch mit ängstlich leisen Schritten in den Hörsaal und blieb unfern der Eingangstüre stehen. Wie gewöhnlich begannen Hohn und Spott, die zuletzt in Schnalzen, Pfeifen und Stampfen über gingen; aber zum allgemeinen Erstaunen blieb der Fremde auf sei nem Platze wie festgebannt, mit einer eisigen Ruhe und hatte sich sogar, um seinen Willen, den Professor zu erwarten, deutlich an den Tag zu legen, eines leerstehenden Stuhles bedient und darauf Platz 24