Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (6, Die Neuzeit ; Erste Periode / 1927)

Deutschland im Zeitalter der Reformation 
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stellte die Festsetzung der Ausweisungsfrist in das Ermessen des 
Stadtrates. Daraufhin wurde die Gnadenfrist zunächst auf vier Monate 
bemessen, um dann für drei weitere Monate verlängert zu werden. Am 
io. März 1499 zogen die letzten Scharen der Nürnberger Juden zum 
Stadttor hinaus, und die alte jüdische Gemeinde hörte zu bestehen 
auf. Die Vertriebenen begaben sich nach Frankfurt am Main und in 
andere deutsche Städte. Ihr gesamtes unbewegliches Gut: Häuser, 
Synagogen und der Friedhof, wurde zugunsten der Stadt eingezogen, 
die hierfür an den kaiserlichen Fiskus etwa achttausend Gulden ab 
führte. Durch den umgegrabenen Friedhof wurde eine Straße ge 
bahnt, bei deren Pflasterung die umgestürzten Grabsteine Verwen 
dung fanden; so verstanden es die christlichen Bürger, auch noch aus 
den toten Juden Nutzen zu ziehen. Zugleich erhielt die Stadt vom 
Kaiser das „Privileg“, die Aufnahme von Juden künftighin zu ver 
weigern. Und in der Tat sollte Nürnberg seitdem nur vereinzelte, sich 
vorübergehend zu Geschäftszwecken in seinen Mauern aufhaltende 
Juden sehen, während eine jüdische Gemeinde hier erst im XIX. 
Jahrhundert neu erstand. 
Neben wirtschaftlichen Motiven kommen in Deutschland am Vor 
abend der Reformation bei den Judenausweisungen immer häufiger 
auch religiöse Beweggründe zur Geltung: die ganzen Gemeinden zur 
Last gelegten „Ritualmorde“ und „Hostienschändungen“. Eine solche 
böswillige Verleumdung bildete z. B. den Anlaß zur Vertreibung der 
Juden aus dem Gesamtbereiche des Herzogtums Mecklenburg. In die 
sem Lande, in dem es auf je zwanzig Laien einen Kleriker gab (bei 
einer Bevölkerung von 286000 Köpfen zählte man hier nicht we 
niger als i4ooo Vertreter des geistlichen Standes), war es der streit 
baren Kirche ein leichtes, auf Grund der Lügenmär von der bei 
den Juden üblichen Hostienschändung einen ebenso ungeheuerlichen 
Prozeß zu inszenieren, wie er im Jahre 1^5 in Trient wegen an^ 
geblichen Kindermordes angezettelt worden war. Die Mecklenburger 
Chroniken wissen darüber folgendes zu berichten. Im Jahre 1492 
zählte die Stadt Sternberg zu ihren Einwohnern den reichen Juden 
Eleasar, der in verschiedenen Städten Abendmahlsoblaten aufkaufte, 
um mit diesen Symbolen des Leibes Christi seinen Spott treiben zu 
können. So erstand er einst bei dem Ortsgeistlichen Peter zwei in der 
Monstranz auf bewahrte Hostien, und als sich anläßlich der Vermäh 
lung seiner Tochter in seinem Hause die Hochzeitsgesellschaft vei>
	        
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