Volltext: Nr. 6 (6. 1919)

Nr. 6 
Jüdische Nachrichten 
unser Ziel nicht begreifen und unsere Freude nicht ver¬ 
stehen könnt, so stört uns wenigstens nicht! Seit dem 
ersten Basier Kongreß habt Ihr mit dem schalen Schlag¬ 
wort „Utopie" uns müde und flügellahm machen wollen; 
laßt wenigstens jetzt die Zweifel, wenn Ihr euch schon 
nicht mit uns hinaufschwingen könnt — zur Höhe! 
K. S. 
Ein verfehltes Manöver. 
In der „Wiener Morgenzeitung" vom 9. März lesen 
wir: 
„Die Wiener Gegner der jüdisch-nationalen Bewe¬ 
gung haben sich folgende Taktik zurechtgelegt: Die Na¬ 
tionaljuden arbeiten den antisemitischen Parteien in die 
Hände. Immer wieder schreien sie in Versammlungen, 
daß die Zionisten von den Antisemiten „gelobt" werden 
und daß man daraus die richtigen Schlüsse über den inne¬ 
ren Wert und über das Wesen des jüdischen Nationalis¬ 
mus ziehen müsse. 
Merkwürdig! Dieselben Elemente, die es so trefflich 
verstanden haben, sich mit Lueger in ihrer Art „auszu¬ 
söhnen", ihm nachkrochen, förmlich seine Füße leckten, 
sich in widerlichen Bücklingen ergingen, wenn sie ihm 
bei einer Festlichkeit oder beim Leichenbegängnis eines 
jüdischen Notabein begegneten, dieselben würdigen Her¬ 
ren und Damen, die sich aalglatt bis in die antisemitische 
Gesellschaft zu schleichen verstehen, dieselben jüdischen 
Politiker, die in ihrem Teutonenwahn wiederholt mit 
Wolf und T e u f e 1 gemeinsame Sache machten — diese 
Juden wagen es, u n s förmlich als die Trabanten des An¬ 
tisemitismus hinzustellen und den Juden einzureden, daß 
wir die „Isolierung" der Judenschaft im Sinne des Ras- 
senantisemitismus Hand in Hand mit den Judenhassern 
bewirken wollen. 
Demgegenüber sagen wir aufrichtig: Was den Assi- 
milanten durch ihre lendenlahmen Proteste, durch ihre 
oft demütige „Abwehr" nicht gelang, das hat der jüdische 
Nationalismus jetzt schon sichtlich bewirkt: Die be¬ 
ginnende Entspannung des bisnun un¬ 
leidlichen Verhältnisses zwischen Ju¬ 
den und Nicht juden. Wenn antisemitische Führer 
jetzt offen erklären, wie das in der jüngsten Gemeinde¬ 
ratsdebatte geschah, daß die Juden allen Grund 
hätten, stolz zu sein auf ihre uralte Nationalgemeinschaft 
und daß man von Volk zu Volk sich werde auseinander¬ 
setzen können, so klingt das anders als die bisherigen 
Hetzreden, Wir buhlen um niemandes Gunst, wir teilen 
nicht die politischen und wirtschaftlichen Grundsätze der 
Deutschnationalen, aber wit sind zufrieden, daß ihr Ver- ^ 
halten gegenüber dem Judentum als Gesamtheit sich 
durch unser Auftreten zu ändern beginnt und wir wissen, 
daß dieser Wandel zum Wohle des ganzen Juden¬ 
tums, wie auch zum Wohle des deutschen 
V olkes gereichen wir d." 
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Berichte. 
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Graz, 
Bei der Sonntag den 9. d. M. stattgefundenen Wahl 
in die Kultusvorstehung, die sehr lebhaft verlief, wurden 
bei starker Wahlbeteiligung 20 Konservative und vier 
Jüdisch-Nationale gewählt. Kultusvorsteher Rendi wurde 
wieder gewählt. 
Abgegeben wurden 397 Stimmen, hievon entfielen 
auf die konservative Richtung 195 bis 275, auf die Jü¬ 
disch-Nationalen 200 bis 217 Stimmen. Der geringe Er¬ 
folg der Jüdisch-Nationalen ist lediglich auf das reaktio¬ 
näre, äußerst mangelhafte Wahlrecht zurückzuführen. 
B. A. 
Salzburg. 
Probepredigt. Samstag den 1. d. M. hielt Rabbiner 
Dr. Halberstamm eine Probepredigt, nachmittags 
einen Vortrag über die Lage des Judentums, in welchem 
er sich zum Zionismus bekannte. Anschließend folgte eine 
Diskussion. 
Kriegsopfer. Die Salzburger Juden, obwohl kaum 
ein halbes Hundert stark, beklagen 2 Tote (Walter 
K o e 1 b 1 und N. J a k o b i) und 6 Invalide. Einige Juden 
weilen noch in Gefangenschaft. Wahrlich, diese Opfer 
stehen hinter denen des Salzburger Landes nic;ht zurück. 
Salzburger Brief. 
In der öffentlichen Sitzung des Kultusrates vom 
27. Februar 1919 wurde die Statutenberatung fortgesetzt, 
worüber Herr Baurat Winkler referierte. 
Das Statut wurde vollständig demokratisiert. Die 
wichtigsten Änderungen sind: Das Wahlrecht wird auf 
alle Gemieindemitglieder ohne Unterschied des Geschlech¬ 
tes, die das 21. Lebensjahr erreicht haben, ausgedehnt. 
Eingeführt wird der Proporz entsprechend der Gemeinde¬ 
wahlordnung für die Stadtgemeinde Salzburg. Das pas¬ 
sive Wahlrecht erhalten alle Gemeindemitglieder ohne 
Unterschied des Geschlechtes in der gleichen Altersgrenze 
wie für die Stadtgemeinde. Mithin ein Fortschritt, der 
der demokratischen Gesinnung unseres Ausschusses alle 
Ehre macht. 
Die Bezeichnung Kultusvorsteher wurde abgelehnt, 
an sein§ Steide tritt der Präsident der jüdischen Ge¬ 
meinde. 
Neu ist die Einführung der Generalversammlungen, 
die mindestens einmal jährlich zur Entgegennahme des 
Rechenschaftsberichtes zusammentritt und der die Ent¬ 
scheidung über alle wichtigen Fragen obliegt. Die Wahl 
der Funktionäre erfolgt fortan durch die ganze Gemeinde, 
insoferne im Rat Meinungsverschiedenheiten herrschen. 
Den Angestellten wird das Beschwerderecht an die Ge¬ 
neralversammlung zugestanden, ihr Verhältnis zum Rat 
auf vollständig moderne Art geregelt. 
Die Steuerschätzungskommissionen werden ebenfalls 
auf demokratischer Grundlage aufgebaut, damit jede par¬ 
teiische Schätzung in Zukunft unmöglich wird. Der dem¬ 
nächst zusammentretenden Generalversammlung steht 
nun das letzte Wort zu. 
Tur!
	        
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