Volltext: Nr. 6 (6. 1919)

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Nr. 6 
Linz, 
am 
14. März 
12. Weadar 5679 
1919 
Väter und Söhne. 
\ om ehrlichen Willen geleitet, ein Kompromiß her¬ 
beizuführen und damit einen ganz überflüssigen Wahl¬ 
kampf zu vermeiden, haben sich Vertrauensmänner der 
jüdischnationalen Partei und der konservativen Kreise in 
der Linzer Kultusgemeinde zu einem Wahlkomitee, bes¬ 
ser gesagt Kompromißverhandlungen, zusammengesetzt. 
Unter \ ermeidung persönlicher Motive und Ausschaltung 
jedes Radikalismus hat man sich dort mit einer Liste ein¬ 
verstanden erklärt, in der 12 der konservativen Partei 
Angehörige acht Vertretern des zionistischen Volksver¬ 
eines gegenüberstanden. Die positive und fruchtbringende 
Arbeit, die damit geleistet worden war, fand bei einem 
teil derselben Wählerschaft, die das Wahlkomitee auf¬ 
gestellt und mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet 
hatte, keinen Anklang; im Gegenteil wurde diese Arbeit 
der Zielpunkt erbitterter Angriffe und speziell die Mit¬ 
glieder des Wahlkomitees, die eine Kandidatur angenom¬ 
men hatten, waren den gehässigsten Anschuldigungen aus¬ 
gesetzt. Das Endergebnis war, daß in der Versammlung 
J0lrJ ?" ^£ärz die Liste des Wahlkomitees mit 88 gegen 
73 Stimmen nicht zur Kenntnis genommen wurde und dem 
Wahlkomitee damit nicht bloß verdiente Anerkennung, 
sondern ganz klipp und klar das Vertrauen ver¬ 
weigert wurde. Fünfzehn Stimmen genügten, um die 
eben erst erzielte Einigung zu vernichten, 88 Stimmen 
einer Partei, die stets so um die Einigkeit in der Gemeinde 
besorgt ist, erhoben sich gegen diejenigen, die endlich auf 
demokratischer Basis eine Einigung erzielt hatten. 
Wenn man nach dem wahren Grund für dieses Veto 
* wenn auch mit sehr schwacher Majorität erhobene 
Veto — sucht, so zeigt es sich, daß der Schlüssel, nach 
dem die Mandate aufgeteilt wurden, nicht die Ursache 
sein kann; auch Personen können unmöglich so hindernd 
in den Weg gestanden sein. Und die Verschiedenheit der 
Programme! Hat denn die konservative Partei überhaupt 
ein Programm? Oder steht sie nicht noch auf dem alt¬ 
österreichischen Standpunkte des Fortwursteins? Bis nun 
herrschte unbeschränkt und unkontrolliert eine Gruppe, 
Partei kann man es ja nicht recht nennen, die die Man¬ 
datare mehr ernannte als wählte; der Großteil der Juden 
schaute teilnahmslos und interesselos zu. Nun stellt sich 
dieser Gruppe die Jugend mit einem festen, klaren Pro¬ 
gramm, mit dem ehrlichen heißen Willen, dieses Pro¬ 
gramm durchzusetzen vor, beileibe nicht entgegen. 
Stellt sich vor und verlangt, daß dem Willen der Jungen 
Rechnung getragen werde, daß sie mitreden dürfen bei 
den Arbeiten der Gemeinde, an der sie mindestens so 
interessiert sind als die Alten. Ihr Programm, ihre 
Wünsche, ihre Kandidaten werden mit 15 Stimmen Majo¬ 
rität nicht zur Kenntnis genommen, ihre Wortführer ver¬ 
lacht, niedergeschrien oder als Phantasten hingestellt. 
Zwischen Alt und Jung tut sich eine Kluft auf, eine Kluft 
der Ideen. Die Spaltung, die man vermeiden wollte, wird 
zur Tatsache; bringt aber die erlösende Klärung und 
Scheidung. Nicht hie Zionismus, hie Konfession ist die 
Parole. Von dem Veralteten, im Bestehenden Erstarrten 
scheiden sich die Jungen, die an eine Fortentwicklung 
glauben und daran arbeiten wollen; die im. Kultus die 
Aufgaben der Gemeinde, keiner Kultusgemeinde, nein, 
der Gemeinde aller Volks- und Stammesgenossen, nicht 
erschöpft sehen, die an eine lebendige Zukunft, nicht an 
die Erstarrung des Judentums glauben. Es geht nicht 
um einen Kampf für die letzten Postulate des zionisti¬ 
schen Programms, weit sind wir bievon in Linz 
entfernt; es soll, weil man den Kampf haben will, der 
Kampf der Jungen um ihre jüdische Zukunft sein, um 
ihre Anerkennung, um ihr Programm, gegen die mit all 
dem Ballast des Altliberalismus beschwerten Alten. Eine 
neue Epoche der Weltgeschichte ist hereingebrochen; 
auch für das Judentum;; an den Jungen von Linz ist es> 
daß dieser Regenerationsprozeß hier nicht verschlafen 
wird. 
Jeder, der die Zukunft des Judentums im leben¬ 
digen Volkstum, nicht als in äußeren Formen erstarrte 
Religionsgemeinschaft sieht, jeder, der glaubt, daß diese 
Zukunft sich nur auf den Schultern einer kräftigen, 
selbst- und zielbewußten Jugend aufbauen kann, gehört 
in unsere Reihen. Das Gefühl unseres eigenen Wertes 
muß uns kräftigen zu neuer geistigen Regsamkeit. Keinen 
unfruchtbaren Stillstand, der einem Verkümmern gleich, 
kein Fortschritt im Sinne eines Fort vom Juden¬ 
tum, kein Schöpfen aus unserem Geiste fremden Quellen, 
aber auch kein Entfremden uns nahestehender und wert¬ 
gewordener Kultur gegenüber. Aus uns selbst heraus eine
	        
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