Volltext: Nr. 58 (58. 1920)

bietungen, insbesondere das „Adagio" von Bruch, be¬ 
deuteten wohl den Höhepunkt des Abends. 
Fräulein Martha Fin kl er vom Landestheater ist 
ein dramatisches Naturell und dieser Charakter drückt 
ihrer Wiedergabe von Richard Beer-Hofmanns „Schlaf¬ 
lied an Mirjam" den Stempel auf; ebenso brachte sie 
das Erste Klagelied aus der Bibel durch ihre leiden¬ 
schaftliche dramatische Auffassung zu packender Wir¬ 
kung. Die von ihr gewählte Szene aus „Jaakobs Traum", 
in der die Erzengel mit Gottes Sendung vor den Träu¬ 
menden trete;i, stellt an die Gestaltungskraft eines 
Künstlers die höchsten Anforderungen; den Wort¬ 
wechsel der Engel, den seelischen Kampf des Knaben 
Jaakob anschaulich zu machen, der herrlichen Sprache 
des Gedichtes zu dienen, verlangt ebensosehr tiefste Ein¬ 
fühlung, wie auch ein modulationsfähiges Organ; Fräu¬ 
lein Finkler hat sich hier wohl eine zu schwierige Auf¬ 
gabe gestellt, bot aber trotzdem eine schöne Leistung. 
Das unverantwortliche Ausbleiben des aus Wien an¬ 
gesagten Vortragenden, der Proben ostjüdischer Lite¬ 
ratur hätte vermitteln sollen, verschuldete, daß das ein¬ 
heitlich gedachte Programm durchbrochen werden 
mußte. Herr Schauspieler Loibner hatte sich in letzter 
Stunde zur Mitwirkung bereit erklärt, wodurch natürlich 
seine Darbietung beeinflußt war. Herrn Loibner fehlt 
zur Interpretation jüdischer Dichtung die Kenntnis 
wahrer jüdischer Art, Trotz seines Bemühens, gelang¬ 
es ihm nicht, für die bekannte Erzählung Scholem 
Alec-hems, „Der Streik der Schnorrer", den richtigen 
Ton zu treffen; besser als die gemütvolle Geschichte aus 
dem ostjüdischen Volksleben lag ihm die leidenschaft¬ 
durchwühlte Szene aus dem .Grafen von Charolais . Lin 
gewaltiger Mißgriff war es, in dieser Vortragsfolge und 
dem Rahinen einer derartigen Veranstaltung Wedekind 
zu Worte kommen zu lassen, auch wenn die Geschichte 
„Rabbi Esra" heißt. 
Trotzdem — eine so ernst zu nehmende künstlerische 
Veranstaltung verträgt Kritik und wenn diese auch 
wenig loben konnte, so »ei doch festgestellt, daß der 
Abend so viel Schönes bot, daß man nur wünschen kann, 
die literarische Gruppe setze in dieser Richtung ihie 
Kulturarbeit fort. 
Zum Schlüsse noch eine kritische Bemerkung über 
das Publikum. Dasjenige, welches erschienen war, ge¬ 
fällt sich in liebenswürdiger Ungezogenheit, wobei aber 
das obligatorische Zuspätkommen doch die größte Sünde 
ist, und dasjenige, welches nicht erschienen ist, zeigt, 
daß es zwar snobistisch zu allen möglichen Darbietungen 
trottet, wo in Kunst gemacht wird, nur in die nicht, 
welche ihm in erster Linie nottäten. 
Israelitischer Frauen verein; Verein zur Ausstattung 
jüdischer Bräute. Generalversammlung. Am 6. April 
fand im Sitzungssaale der Kultusgemeinde eine äußeist 
schwach besuchte Generalversammlung statt, in welcher, 
nach Erstattung des Tätigkeitsberichtes beider Vereine 
die Frage einer Fusionierung derselben diskutiert wurde. 
Ein gewähltes Konntee wird einer neuerlichen General¬ 
versammlung eine Geschäftsordnung vorlegen. Erwähnt 
sei die Rede der Frau Franziska Breth, welche es be¬ 
mängelte, daß die Vorstehung des Frauen Vereines es nicht 
verstanden habe, die arbeitswilligen Mitglieder während 
der Kriegszeit zu cliaritativer Tätigkeit heranzuziehen. 
„Galizianischer" Sport in Linz! Unter diesem 
Schlagwort ging uns, leider für unsere vorige Nummer 
verspätet, der folgende Bericht ein, dem wir um so 
lieber Raum geben, als inzwischen die „Hakoah" im 
Osterrundspiel in Wien im Wettkampf mit führenden 
Wiener und Budapester Mannschaften den von der 
..Reichspost" (!) gespendeten Pokal erringen konnte. — 
Es ist erfreulich, daß der allgemeine Unwille gegen die 
Haltung der Linzer ..Tages-Post", deren demagogisches 
Treiben wir schon seit langem aufgedeckt haben, immer 
weitere Kreise erlaßt, wie auch die in der letzten Sitzung 
der Kultusgemeinde abgeführte Debatte beweist. 
Der Bericht in der Linzer „Tages-Post" über das 
am 28. März stattgefundene .1' ußballWettspiel der Sport¬ 
vereinigung Urfahr mit einer kombinierten Wiener 
Mannschaft (W. A.-O. und Jüd. Sportklub „Hakoah ) 
erregte in der jüdischen Bevölkerung von Linz berech¬ 
tigte Empörung. Endlich fand einmal dieses „feine 
Blatt die vielgesuchte Gelegenheit, in Linz selbst vor¬ 
gefallenes „Galizianisches" — so beliebt^ die „Uig©&- 
Post" alles jüdische zu nennen — zu bekritteln-und das 
tat sie auch recht ausgiebig in unsachlicher und ab¬ 
stoßender Weise. Wer Augenzeuge dieses Wettspieles 
war und kein alldeutsch zersetztes Gehirn besitzt — also 
objektiv urteilen kann —, wird die Sache doch anders 
sehen. 
Schon beim Vortraining konnte man beobachten, 
daß die Wiener Mannschaft körperlich den Urfahrern 
unterlegen war. Es ist begreiflich, dal» die beiden oben 
genannten Wiener Sportvereinigungen nicht die besten 
Spieler sandten, da sie am gleichen Tage Wettspiele in 
Wien auszutragen hatten, auf die, besonders die „Hakoah 
Wert legte, da dieser wackere Verein vor der Vor¬ 
rückung in die erste Klasse der [Meisterschaft steht. Ab¬ 
gesehen davon, ist es auch jedem Laien klar, daß eine 
willkürlich zusammengestelltes Mannschaft den Leistun¬ 
gen einer lang gemeinsam trainierten — wie es die 
Urf ahrer ist -—zurückstehen muß. Trotzdem muß zu¬ 
gegeben werden, daß dieses Wettspiel von den \\ ienern 
lieber hätte vermieden werden sollen, obzwar die wahr¬ 
scheinlich aufgestellte Vermutung der Wiener, die 
Leistungsfähigkeit der Provinzmannschaft nicht zu hoch 
zu werten, sich beinahe bewahrheitet hätte. ^ Denn mit 
ruhigem Gewissen kann gesagt werden, daß die Uifahrei 
ihren Sieg nur ihrer außerordentlich rohen Spielweise, 
die etwas Metzgerartiges an sich trug, verdankte. Nicht 
selten wurde ein Wiener in robuster Art Von einen 
Urfahrer Sportmenschen gerempelt und ganz unerhörte 
Mißgriffe dieser Art wurden vom Schiedsrichter — den 
die „Tages-Post*' a,ls „gewissenhaft" hinstellt rnit. 
Ruhe übersehen. Im Gegensatz zu dieser Spielweise zeich¬ 
neten sich die Wiener durch vornehmes Spiel aus, natür¬ 
lich riß hie und da einem, angesichts der Parteilichkeit 
des Schiedsrichters, die Geduld und er verlangte laut 
das Eingreifen desselben; doch ein ironisches TLächeln 
der Gegner war die Antwort. Das Anrufen des Schieds¬ 
richters von Seiten der Wiener bezeichnet die „Tages- 
Post" als „handelslustig". Ein geschichtliches Synonym! 
Wenn Juden Gerechtigkeit verlangen, „handeln" sie in 
Augen des Heilschreier! Gegen diese Verbohrtheit ist 
schwer zu kämpfen! — Zu bemerken wäre auch, daß der 
Wiener Goolmann durch das rohe Spiel der Urfahrer 
gleich anfangs eine Verletzung erlitt, die ihn sehr hin¬ 
derte. Dieser und eine Reihe anderer Umstände trugen 
zu dem Siege des hiesigen Sportklubs viel bei. Natürlich, 
durch die Siegfriedlerbrille sehen diese Dinge anders 
aus und Vernunftgründe könlien hier nicht- reinigend 
wirken. Nur ein Weg wäre gangbar, um die „Promenade¬ 
schmierer" eines Besseren zu belehren. Man wird alles 
versuchen, Um die oft bewährten Hakoahner zu einem 
Vergeltungsspiel zu veranlassen. Was werden dann diese
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.