Volltext: Nr. 2 (2. 1919)

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für die deutschösfterr. Provinz. 
j 1919 | 
14. Februar 
' 14. Ädair5679 
Zum 16. Februar. 
Deutschösterreich, auf den Trümmern der alten 
Habsburgermonarchie aufgebaut, hat unter den Erben 
derselben am schlechtesten abgeschnitten und jeder seiner 
Bürger sieht mit dem jungen Staate in eine Zukunft, 
die noch von dichten, grauen Schleiern verhüllt ist. Und 
wenn auch das jüdische Volk als solches von der großen 
Neuordnung der Welt, die jetzt dem gewaltigen Umsturz 
folgen soll, eine befreiende Lösung seiner Lebensfragen 
erwartet und — wenn die Anzeichen nicht trügen — 
zum1 erstenmal; s«eit zweitausend Jahren wieder einen 
sicheren Hafen für sein Schiffchen vor sich liegen sieht, 
so kann und darf der Jude als einzelner nicht gleichgültig 
dem1 Schicksal jenes Landes gegenüberstehen, in dem er 
lebt und schafft. Nicht nur, weil es sich um das Wohl 
und Wehe seiner eigenen Person, um seine ureigenste 
Sache, handelt, sondern schon deshalb, weil das jüdische 
Herz auch immer mit dem seiner Umwelt schlägt und 
möge diese es ihm auch hundertmal mit Haß und Ver¬ 
folgung danken. 
Der IG. Februar bedeutet einen Lebensabschnitt für 
unsere junge Republik. Sie soll durch die neugeschaffene 
\ olksVertretung lebensfähig gemacht, konstituiert 
werden. Diese bedeutende Aufgabe wird der kommenden 
Nationalversammlung schon mit ihrem Namen vor¬ 
geschrieben. 
Was aber haben wir Juden in diesem Staate von 
dieser Nationalversammlung zu erwarten? 
Hirwahr, sie steht vor keiner leichten Aufgabe ! Ver¬ 
gessen wir nicht, daß unser neues Staatswesen noch 
immer nicht von den siegreichen Mächten anerkannt 
wurde, daß es das Machtwort des Pariser Kongresses in 
andere, beliebige Formen pressen kann! Nur das Ver¬ 
trauen auf die Lauterkeit und Größe jener Persönlich¬ 
keit, die der. blutenden Menschheit die Lehre von der 
zukünftigen Völkergerechtigkeit gegeben hat, läßt uns 
hoffen, daß auch der Bevölkerung dieser Länder die volle 
I'reiheit ihrer Entschließung gewahrt wird. Wir Juden 
aber können nur wünschen, daß die jetzt neugewählten 
Vertreter dieses Volkes daraus die Erkenntnis ziehen, 
daß (Gerechtigkeit kein relativer Begriff ist, der nach 
Bed art gemodelt werden kann, und daß mit nationalem 
Chauvinismus i\ la Schönerer oder Kemeter ein neuer 
Staat nicht aufgebaut, sondern bestenfalls dein alten 
nach, auf den Trümmerhaufen gebracht werden kann. 
Leider haben wir Grund genug anzunehmen, daß 
fürs erste noch sehr wenigen von unseren Volksführern 
diese Erkenntnis aufgegangen ist. Anderseits sind wir 
Juden der deutschösterreichischen Provinz verhindert, 
bewußte Juden als unsere Vertreter "zu entsenden, dank 
einem Wahlsystem, das, ausschließlich auf territorialen 
Wahlkreisen und Parteiwesen fußend, Minoritäten ent¬ 
rechtet; ein Wahlsystem, das für 300.000 Juden einen, 
einzigen Wahlkreis ermöglicht-! Hoffen wir, daß wenig¬ 
stens diese einzige Möglichkeit, wirklich jüdische Ver¬ 
treter zu wählen, voll und ganz ausgenützt wird, daß von 
Wien Nordost zumindest; Männer in die Konstituante 
entsendet werden, die mit allem Nachdruck die Rechte 
der jüdischen Minorität stets zu wahren wissen werden. 
Inwieweit die anderen, deren Wahl in die Nationalver¬ 
sammlung bevorsteht, dieses Hecht schützen werden, kann 
man bei der Stellung der Parteien zum Judenpunkt leicht 
erraten. Trotzdem glauben wir nicht, diß eine Partei, 
nachdem sie die Stimme urteilsloser Wähler mit dem 
billigen Schlagwort „Antisemitismus" gefangen hat, wirk¬ 
lich den Staatsaufbau mit der herostratischen Tat begin¬ 
nen wird, einei; ganzen Bevölkerungsschichte Unrecht zu 
tun und dadurch das Land vor der ganzen Welt zu dis¬ 
kreditieren. Muß doch jeder Politiker einsehen, daß es 
für Deutschösterreich nichts Dringenderes gibt, als es 
aus dem traurigen wirtschaftlichen Niedergang, in den 
es von der verkrachten Großmacht Österreich-Ungarn * 
gerissen wurde, so schnell als möglich zu retten. Unsere 
Finanzen, unsere Nahrungsmittel- und Rohstoffversor¬ 
gung, unsere Valuta, alles dies sind Probleme, von 
welchen jedes einzelne die höchste Anforderung an 
staatsmännische Weisheit stellt und diese muß als erstes 
erkennen, daß nur die Betriebsamkeit und erhöhte Ar¬ 
beitskraft der gesamten Bevölkerung einen Ausweg aus 
dem Wirrsal schaffen kann. Die Juden Dentscho-for¬ 
reich s, von der wirtschaftlichen Depression dieser Länder 
ebenso hart getroffen wie ihre Mitbürger, werden mit 
ganzen Kraft an der Hebung der Volkswirtschaft des 
Staates mithelfen, und es könnte an diesem jungen
	        
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