Volltext: Nr. 21 (21. 1919)

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Linz, am 7TT—TT. — 
' 29. Siwan 5679 
Jugend, Politik und Parte!. 
Vor wenigen Wochen wurde zwischen Dr. Siegfried 
Bernfeld, dem Führer der jüdischen J ugendbewegung 
Wiens, und dem jüdischnationalen Politiker Heinrich 
Margulies in der „Jüdischen Zeitung" ein Meinungsstreit 
über die Frage ausgetragen, ob es vorteilhaft und förder¬ 
lich für die Entwicklung der Jugend wäre,* wenn sie 
baldmöglichst mit politischen Ideen, vertraut [gemacht 
und in das,Treiben und Leben der politischen Parteien 
eingeführt würde. Fast wie eine blutige Illustration zu 
diesem Disput, der ganz und gar nicht einfach abgetan 
werden kann, da sowohl Bejahung als auch Verneinung 
gute Gründe für sich ins Feld bringen können, nehmen 
sich die Verlustlisten des 15. Juni in Wien aus. 
Von 16 Todesopfern waren 10 Jugendliche, das heißt, noch 
halb in den Kinderschuhen steckende Menschen. ist 
daher nur ganz angebracht, wenn allerorten über die 
Frage: „Soll der Jugendliche Politik betreiben" ehrlich 
und ernst gesprochen wird. Auch in jüdischen Zeitungen, 
und vielleicht da gerade vor allem, vermöge der sittlichen 
und geistigen Frühreife, die unsere Jugend aufzuweisen hat. 
Was ist heute Politik? — Nicht, was es sein sollte, 
der Kampf für Ideen, um einer Idee willen; sondern 
lediglich der Kampf um Macht und Vorherrschaft, aus- 
gefochten zwischen Parteien, Klassen, Völkern und Na¬ 
tionen, nicht mit den Mitteln der Überzeugung, sondern 
dem der Gewalt. Mit der Macht wird erreicht, was eigent¬ 
lich die werbende, überzeugende Kraft des leitenden Ge¬ 
dankens hätte tun sollen: die" Verwirklichung der Idee. 
Und wenn das treibende Motiv nur immer eine Idee 
ware! Einstweilen, solange die Ziele, die wir verfolgen, 
fo weit entfernt, die Widerstände, Indolenz und geistige 
1 rägheit so groß ^ind, bleibt uns bei der Wahl der Mittel 
»nid Methoden nichts übrig, als, wollen wir die Verwirk¬ 
lichung auch nur eines bescheidenen ^Teiles unserer Ideen 
ermöglichen, uns der wenigen Mittel und Methoden zu be¬ 
dienen, die Erfolg verheißen. Diesem Lavieren, Ausnüt¬ 
zen der kleinsten Möglichkeiten, das macht heute unsere 
Politik aus. Und da jeder, der Politik betreiben will, 
8ich auch gegebenenfalls all dieser Methoden bedient, 
sind moralische -Reminiszenzen wohl nicht am Platze. 
Und die Jugend ? Sie wird einmal berufen sein (und 
wir wollen sie dazu planmäßig erziehen), an Stelle per¬ 
sönlicher Eitelkeit, Streben nach Macht und Vorherr¬ 
schaft und engherziger und kurzsichtige^ Tages- und 
Kirchturmpolitik die Herrschaft einer Idee zu setzen, 
Idealismus und Reinheit (und so etwas muß möglich sein) 
zur Voraussetzung von Politik zu machen, — — diese 
Tugend soll in einen Kampf hineingezerrt werden, der 
ihr, je nach Veranlagung, jeden Sinn für Politik verekeln 
oder sie stumpf und widerstandslos gegen alle Fäulnis 
unserer heutigen politischen Verhältnisse machen muß? 
Jede neue Generation, zumal die jetzige, hat einen genug 
schweren Kampf gegen die alternde Generation auszu- 
fechten, mit der — das empfindet, sie und deswegen der 
\\ iderstand — eine überholte Gesellschaftsordnung da¬ 
hingeht. Warum zu diesem Kampf, der genug Kräfte ab¬ 
sorbiert und die besten unserer Jugend ganz und gar 
beschäftigt, noch einen anderen, häßlichen und höchst 
überflüssigen, den Parteikampf, fügen? Vielleicht, um 
die Jugend von ihren eigentlichen und eigenen Zielen hin¬ 
weg auf Parteiziele, also auf Fertiges, zu lenken ? Man 
deute diesen Standpunkt nicht dahiiv daß der Jugend 
das Recht auf Bildung einer (und zwar eigenen) Mei¬ 
nung auch über Tagesfragen verwehrt wrerdc. Ganz im 
Gegenteil soll sich die Jugend eine eigene freie Meinung 
bilden, ja sogar ein kritisches Urteil fällen können. Dazu 
ist aber nötig, daß wir sie von jeder parteimäßigen und 
damit einseitigen Beeinflussung ferne halten, ihr alle 
Meinungen, Ideen und Zeitfragen zugänglich machen 
Die Jugend, die einstmals den politischen Kampf einzig 
mit der Waffe der Idee führen soll, muß an diesen Kampf 
gewöhnt und daher politisch erzogen werden. Nicht ab¬ 
seits aller Kämpfe, die die Geister erfüllen, aber auch 
nicht innerhalb- der engen Mauern eines Parteihauses, 
und leuchtete dieser Partei auch die reinste Idee vor. 
Wir wissen alle, daß die erzieherische Weisheit im Auto¬ 
ritätsstaate darin bestand, die Kritik auszuschalten, das 
Werdende als revolutionär, das Bestehende als Bewährtes 
•und Erprobtes hinzustellen, diese Autorität war die 
Mauer, auf der so mancher junge, strebende Geist bei 
seiner Flucht zur Freiheit einer eigenen Meinung sich 
den Kragen gebrochen hat, innerhalb der aber aus freien, 
geraden Menschen Erwerbstiere und Knechtseelen fabri¬ 
ziert wurden. Soll diese Erziehungsmaschinerie, da die 
obrigkeitliche Autorität verschwunden ist, nun zur Insti¬ 
tution irgend welcher Partei werden ? "Man (d. h. Eltern, 
Lehrer, Jugendführer, Parteimänner) verfalle doch nicht 
in den Fehler, wie man früher Patrioten und Staatsbür¬ 
ger „erzogen" hatte, jetzt gute Parteim'änner zu erziehen. 
Wie hat es sich gerächt, der Jugend die Geschichte „für 
die reifere Jugend bearbeitet" zu lehren, wrie würde es 
sich erst rächen, ihr Parteiprogramme in „Zehn Gebote - 
Form beizubringen. 
Ein anderer Weg ist besser und gesünder. Machen 
wir die Jugend wirklich reif, das heißt selbstsicher und 
urteilsfähig, dann wird sie von allen Programmen, die 
Ideen verkörpern, zweifellos dasjenige wählen, dem die .
	        
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