Volltext: Der Spaßvogel 1923 (1923)

lich unter die Erde zu schaffen; doch es 
in ungeweihten Boden legen, konnte ich 
nicht übers Herz bringen. Ich machte ihm 
daher im Gottesacker eine Grube; aber 
die Arbeit ging nur langsam vorwärts, 
weil ich kaum ein Glied regen konnte vor 
Schwäche und so überraschte mich der Mor— 
gen, ehe ich den Boden wieder einebnen 
fonnte.“ Zum Schlusse rief sie nochmals 
Jesum und den ganzen Himmel zum Bei— 
stande an und brach hierauf, ihrer Ge— 
fühle nicht mehr Meister, in einen Strom 
von Tränen aus. — 
Das Gericht stellte den Angaben Nanis 
die gravierende Aussage der Zeugen gegen— 
über, nament⸗ 
lich jener alten 
Frau, welche 
das Kinderge— 
schrei gehört 
haben wollte. 
An diese 
Handhabe 
klammerte sich 
der Pfleger 
mit eherner 
Faust ein, denn 
fie gab zumeist 
einen festen 
Haltpunkt und 
konnte ihn be— 
rechtigen, sein 
Lieblings— 
mittel,die 
peinliche 
Frage, gegen 
die Inquisitin 
in Anwendung 
zu bringen, 
fallsselbe 
fortfahren 
würde, ihr 
Verbrechen ableugnen zu wollen. Das sehr 
schwankend ausgefallene ärztliche Parere, 
abgelegt von einem unwissenden Feldsche— 
rer, stand ihm hiezu schlechterdings nicht 
im Wege. Bereits im zweiten Verhöre, 
nachdem die Beklagte standhaft wieder ihre 
Unschuld beteuert hatte, ließ er sie, gleich— 
sam zum Vorspiele, bis aufs Blut mit 
Ruten hauen. Halbtot schleppte man die 
Mißhandelte ins Gefängnis zurück. 
Nanis Wunden waren noch nicht ver— 
narbt, so wurde sie abermals ins Verhör 
genommen. Diesmal führte man sie in 
eine dumpfe, modrige Stube, welche in 
einem der Ringtürme des Felschenschlosses 
lag. Ein Bogenfenster, durch die klafter⸗ 
dicken Mauern gebrochen, sollte das Ge— 
nach erhellen, aber seine erblindeten Schei⸗ 
hen ließen das Licht nur matt einfallen. 
Graue Dämmerung herrschte hier, wenn 
die ganze übrige Welt sich des hellen Ta— 
ges erfreute. Die dem Fenster gegenüber 
dehende Wand war durch einen Vorhang 
bon rotem Tuch verdeckt. Der Pfleger 
saß, die strenge Richtermiene gegen den 
Singang kehrend, in einem blutrot beschla⸗ 
genen Lehnstuhl, neben ihm, an einem von 
Alter und Tinte geschwärzten Tische ein 
ljauernder Schreiber. Ein kühneres Herz 
als das des schwachen Mädchens würde 
von dieser Umgebunq erschüttert worden 
sein. Nani 
überlief ein 
eiskalter 
Schauer. 
„Anna Oster⸗ 
korn, tritt nä⸗ 
her!“ begann 
der Pfleger 
in einem To— 
ne, welcher der 
Angeredeten 
gleich dem Po— 
saunenrufe des 
jüngsten Ta— 
ges klang. Zit⸗ 
ternd, mit wil⸗ 
lenloser Hast, 
tat sie, wie ihr 
geboten. Der 
Pfleger fuhr 
fort: „Wie 
dir wissentlich 
st, hat ein 
Zeuge allhier 
vor Gericht 
eidlich depo⸗ 
F miiert, daß er in 
der, Nacht vom 24. zum 25. Ottober hujus 
das von dir —, wie du selber einbekannt 
—, geborene Kind habe schreien hören. 
Wirst du, anso durch ein gewichtiges In— 
dicium überführt, dessen ungeachtet Gott 
und einer Obrigkeit noch länger die Ehre 
borenthalten, indem du auf deinem fre— 
chen Leugnen beharrst? e 
BSoch vermögender Herr!“, versetzte 
Nani, tausendmal würde ich die Ohren seg⸗ 
nen, welche einen Laut von meinem Kinde 
dernommen hätten. Aber ach.! sein Mund 
blieb selbst der Mutter verschlossen.“ 
Der Pfleger ließ dem Schreiber Zeit, 
die Worte ins Protokoll einzutragen; dann 
hober wieder an, den stechenden Blick sei— 
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