Volltext: Der Spaßvogel 1923 (1923)

halbverfallene Hütte, welche sie von ih⸗ 
ten frühverstorbenen Eltern, armen Tag— 
löhnersleuten“ ererbt. 
Ein Jahr oder darüber, nachdem sich 
die Bekanntschaft der beiden angesponnen, 
segnete der reiche Bauer in Ried das Zeit— 
liche und der Totengräber ging an einem 
neblichen Herbstmorgen auf den Friedhof 
hinaus, dem Hingeschiedenen, das Grab zu 
bereiten. Zu seinem Aerger fand er an ei— 
nem abgelegenen Winkel den Rasen frisch 
aufgewühlt und als er mit dem Spaten 
sondierte, um etwa, darauf zu kommen, 
wer ihm da freventlich ins Handwerk ge— 
—RWWWVsSWewhe—— 
neugeborenen Knäbleins. Das Kind war 
in ein reinliches Stück Leinwand) gewik— 
kelt und zeigte äußer— 
lich nicht die gering⸗ 
jtte Spur von, Verlet 
zung; aber die heim— 
liche Beerdigung muß— 
te notwendig auf den 
Gedanken führen, es 
sei mit dem, armen 
Würmlein nicht mit 
rechten Dingen zuge— 
zangen. Voll Entset— 
zen eilte der Toten⸗ 
gräber, von seinem 
Funde im Pfarrhof 
Anzeige zu machen. 
Die Neuigkeit verbrei⸗ 
tete sich wie ein Lauf⸗ 
feuer im Dorfe. Bald 
war die halbe Ge— 
meinde auf dem Got— 
tesacker versammelt 
und einer fragte den 
anderen, wer das wohl 
getan haben möge. Im Kreise einiger 
frommen Betschwestern flüsterte es den 
Namen Nanis und wie man einer Meute 
einen Knochen hinwirft, so fiel jetzt al⸗ 
les über den Leumund der Verdächtigen 
her und suchte was dran noch gut war, 
abzunagen. Der wußte dies und jener das 
zu ihrem Nachteile vorzubringen und die 
Weiber, fragten, ob die Männerwelt blind 
gewesen sei, daß sie die Veränderungen 
nicht merkte, welche mit der Gestalt des 
Mädchen in den letzten Monden vor sich 
gegangen. Zum Ueberflusse trat auch noch 
die Nachbarin auf und beteuerte, sie habe 
während der vergangenen Nacht in Na— 
nis Stube deutlich ein Kind schreien hö— 
ren und obwohl jeder wußte, daß die stein⸗ 
alte Matrone auf zehn Schritte weit das 
Freischen einer Gans nichon dem Schlag 
eines Finkenmännchens unterscheiden kön— 
ne, so fand ihre Aussage doch vollen 
Glauben. Die arme Nani wurde einhel— 
ig des Mordes schuldig gehalten und der 
haufe stürmte vor ihre Hütte hin, während 
indere sich beeillen, den Klosterrichter her— 
zeizurufen. Dieser fand, Nanni im Bette, 
odesschwach und kaum imstande, auf seine 
Fragen Antwort zu geben. Ein kurzes Ver— 
hör überzeugte ihn, daß der Fall über seine 
Kompetenz gehe. Er stellte eine Wache 
dor das Haus der Inkulpatin, brachte die 
Leiche des Kindes in einer abgesonderten 
Kammer hinter Schloß und Riegel und 
nahm über diese ein Protokoll auf, welches 
er durch einen reitenden Boten nach Mit— 
terfels siikte. 
. Es ist meine Ab— 
sicht nicht, den Verlauf 
des gegen die Nani 
eingeleitesen Prozesses 
umständlich zu beschrei— 
ben und wenn ich auch 
wollte, so vermöchte 
ich's nicht; denn ich 
bin kein Mann der 
Feder. Die Geschichte 
ist schon lange her und 
cch habe sie aus dem 
Mund schlichter Land⸗ 
leute, die ebenso wenig 
Juristen sind, wie ich 
elber. »Nur so viel 
kann ich sagen, daß 
die Nani, sobald sie 
nur einigermaßen wie— 
der zu Kräften ge— 
kommen war, in Ket⸗ 
ten gelegt und nach 
dem Amtshause von Mitterfels abgeführt 
vurde. Schon bei der ersten Vernehmung 
bekannte sie, daß sie die Mutter des im 
Kirchhof gefundenen Kindes sei, wies aber 
den Verdacht, es ermordet zu haben, ent⸗ 
chieden und mit allen Anzeichen des Ab— 
cheus zurück. Sie könne, sagte sie, kei⸗ 
iem Huͤhnchen ein Leid antun, geschweige 
denn ihrem eigenen Blute. Das Kind sei 
tot zur Welt⸗gekommen, und alle Heiligen 
des Himmels mühten ihr bezeugen, daß 
sie die lautere Wahrheit rede. Gern würde 
sie die Schande und Strafe ertragen, wenn 
nur ihr Kind am Leben wäre. „Aber um 
eines Leichnams wegen“, fuhr sie fort, 
„wollte ich nicht im Strohlranze vor der 
Kirchentüre stehen. Der böse Geist gab— 
mir ein, das schon erstarrte Kind heim⸗
	        
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