Volltext: Der Naturarzt 1897 (1897)

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«einem Ende znneigt, es noch einmal übersehen, so können wir sagen: es hat erfüllt, 
was es versprach. Dass auf dem uns am meisten interessirenden Gebiete hier und da 
Anschauungen vertreten werden, die nicht die unseren sind, darf nicht Wunder nehmen. 
Trotz der gewaltigen Ausdehnung unserer Sache sind wir doch leider immer noch eine 
Minderheit im deutschen Volke. — Der 15. Band reicht vom Stichwort „Russisches 
Reich“ bis “Sirte“. Einzelne Artikel die wir prüfen konnten, zeigen meisterhafte Be 
arbeitung. Der Reichtum von bildlichen Darstellungen ist wieder sehr gross. Er um 
fasst neben 250 Textbildern 87 Sondertafeln, darunter 1B Tafeln in Farbendruck. 
—Feuilleton. ffr— 
„Sei anständig!“ 
Ein Lebensbild als Warnung von Bertha Mutschlechner. 
(Schluss.) 
Anna hätte das alles sehr hübsch gefunden, wenn sie nur jene 
unüberwindliche Scheu losgeworden wäre, welche sie, — in Gegenwart 
anderer, ebenso wie auf der Strasse, ja sogar zu Hause, wenn Besuch da 
war, — hinderte, ihren körperlichen Angelegenheiten, die nötige Zeit und 
Aufmerksamkeit zu schenken. Es wäre bei ihrem, ohnedies schon nicht 
mehr ganz tadellosen Zustand, von grosser Wichtigkeit gewesen, sofort jeder 
leisen Mahnung in dieser Hinsicht Gehör zu schenken, sie hätte damit 
manches gut machen, schwererem Uebel Vorbeugen können, aber wie sollte 
eie es über sich bringen, mitten aus einem Salon voll Besuchen, in der 
animiertesten Unterhaltung, sich zu entfernen. „Was würde inan denken!“ 
Oder gar im Konzert, Theater, auf dem Ball! — O ja, sie bekam häufig Kopf 
weh, Uebelkeiten, einmal war sie sogar einer Ohnmacht nahe, sie hatte oft 
gar kein Interesse mehr, an allem, was sie sah und hörte, manches Ver 
gnügen wurde ihr vergällt und sie sah einem langem Aufenthalt unter 
Menschen sogar mit Bangen entgegen, — aber lieber ertrug sie alle diese 
Qualen, und sündigte langsam und stetig* auf ihre Gesundheit weiter, als 
dass sie das Natürliche natürlich aufgefasst und im rechten Moment sich 
entfernt hätte, um ihrem Körper sein Recht zu lassen; sie war so gewöhnt, 
diesen falschen, eingebildeten Geboten der „Schicklichkeit“ zu folgen, dass 
sie eine Bekannte, welche hierin ihre Ansichten nicht teilte, in Gedanken 
als „sehr roh und ungebildet“ beurteilte. 
Was geknechtet wird, erlahmt, voraus wenn alle Widerstandsversuche 
nutzlos sind; so auch die menschliche Natur. Anna hatte seit ihrer frühen 
Jugend ihrem Körper sein Recht vorenthalten, in falscher, verblendeter 
Scham verhindert, .dass der Organismus die unbrauchbaren Stoffe zur rechten 
Zeit ausscheiden konnte, nun rächte sich der Körper, die Organe, welche 
die Natur zu diesen Funktionen geschaffen, erschlafften und erlahmten durch 
den fortgesetzten Zwang und die Folge war, dass das junge Mädchen, in dessen 
Körper sich zurückgestaute unreine Krankheitsstoffe ansammelten, immer 
häufiger an Kränklichkeit, Schmerzen und Unbehaglichkeit litt. In Folge 
davon und besonders des hartnäckigen Darmleidens befiel sie nun auch eine 
grosse Nervosität, welche, abwechselnd zwischen Reizbarkeit und Melancholie, 
ihr das Leben verbitterte und ihren Eltern die bangsten Besorgnisse machte. 
„Das machen die Aufregungen des gesellschaftlichen Lebens,“ meinte 
Herr Rehberg, und wenn er auch damit nicht ganz Unrecht hatte, so war 
damit doch der wahre Beweggrund dieser traurigen Leiden lange nicht 
entdeckt. „Das Kind braucht Luftveränderung,“ behauptete Frau Rehberg 
und fand damit den Beifall des Hausarztes, der sofort den Aufenthalt in 
einem viel besuchten, grossen Badeort anriet. Mit gehobenem Mute trat 
die Familie die Reise an; aber auch im berühmten K. gingen die Fluthen 
des gesellschaftlichen Lebens hoch, unmöglich für Rehbergs, sich ganz 
zurückzuziehen; wäre Anna an einen stillen unbesuchten Gebirgsort 
gekommen, vielleicht hätte sie sich dort natürlicher gehen lassen und es 
wären von selbst die Schranken gefallen, welche ihre krankhafte Einbildung
	        
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