Volltext: Der Naturarzt 1891 (1891)

der Gründe anzuerkennen vermögen — wir sollten eine chinesische Mauer um uns ziehen lassen, 
sollten zugeben, daß die Vereine ängstlich abgesperrt würden von Richtungen, die in den 
Grundgedanken mit der unsern übereinstimmen, und nur in Einzelheiten nicht 
ganz in unsere bisherigen Anschauungen passen? Dann legen wir doch lieber die Waffen 
hin; wir hätten kein Recht mehr zum Kampfe gegen den Autoritätsglauben der Medizin 
heilkunde. 
Solch eine Abschließung wäre dieselbe Thorheit, als wenn man aus Rücksicht darauf,vielleicht 
Manchen vom Eintritt in den Verein zurückzuhalten, verschweigen wollte, daß auch die Natur 
heilkunde nicht alle Kranken heilen kann, daß sie uns nicht nur in chronischen, sondern 
auch in akuten Fällen zuweilen im Stich läßt. Das zu sagen, erfordert die Wahrheitsliebe, 
es recht oft zu betonen, die Klugheit. Kein denkender Mensch wird es unnatürlich finden, 
daß jeder Heilungsversuch seine Grenzen in der Heilungsmöglichkeit hat, und daß diese bei 
den verschiedenen Kranken sehr verschieden ist. Wir schützen den Neuling dadurch vor Ent 
täuschungen, die erfahrungsgemäß s^ Manchen wieder in den Schoß der Medizinheilkunde 
zurücktreiben. Es gilt eben, allerorten an das Denken zu appellieren. Ein denkender Mensch 
wird ebensowenig von der Naturheilkunde alles verlangen wollen, wie er es erklärlich finden muß, 
daß sich innerhalb fester Grundanschauungen Verschiedenheiten im Einzelnen finden. Die 
Herren Vortragenden haben es in der Hand, nach dieser Richtung hin er 
ziehlich zu wirken; und sie werden dadurch unserer Sache mehr Anhänger und treue Ge 
nossen werben, als durch etwaige Schönfärberei und durch das Bestreben, die eigenen An-- 
schauungen für die allein wahren auszugeben. 
Von nicht Wenigen wird es unangenehm empfunden, daß unsere Zeitschriften nur 
über Erfolge berichten. Ich bin überzeugt, daß die Redaktion des „Naturarzt" mit mir 
der Anschauung huldigt, man könne unter Umständen aus einer verfehlten Kur mehr lewen, 
als aus zehn geglückten. Möchten doch auch solche Fälle zum Bericht kommen; es wäre 
um der Wahrheit willen von Wert, und grade auf Neulinge würde das durchaus nicht 
abschreckend wirken; es müßte ihnen im Gegenteil zeigen, daß die berichteten Erfolge nicht 
Reklamestücke sind. 
Fasse ich zusammen, so ergießt sich Folgendes: Das Verschleiern der Thatsache, daß es 
auch in der Naturheilkunde verschiedene Richtungen („Systeme") und auch Mißerfolge giebt, 
hemmt den Fortschritt und entfremdet uns denkende und wahrheitsliebende Genossen. Für 
Neulinge liegt allerdings eine gewisse Gefahr vor, wenn sie von verschiedenen „Richtungen" 
hören. Diese Gefahr ist aber weit geringer als diejenige, durch Enttäuschungen der Natur- 
heilkunde überhaupt entfremdet zu werden. Sie wird auf das geringste Maß zurückgeführt, wenn die 
Vertreter der verschiedenen Richtungen sich nicht gegenseitig „in die Haare fahren", sondern 
sich den bekannten Spruch zur Richtschnur machen: „ln n66638arii8 unita.8, in äudil8 
liderta^ Ln omn1bu8 autem caritas“ (In notwendigen Dingen Einheit, in 
zweifelhaften Freiheit, in allen aber liebendes Dulden). 
Nur in diesem Zeichen können unsere Vereine, kann der Bund blühen 
und gedeihen. 
Ueber Ursachen und Heilung der Influenza. 
Von Adolph Schulze, Landsberg a. W. 
Als eifriger Anhänger der Naturheilkunde suche ich das Wesen derselben nicht nur 
näher kennen zu lernen, sondern suche meine Erfahrungen auch zu verwerten. So ist es 
auch mit der berühmten „Influenza", auch „Grippe" oder der „neue Schnupfen" genannt. 
Bekanntlich trat dies Leiden im Herbst 1889 in ganz Europa plötzlich auf und richtete viel 
Unheil an. Was aber das Merkwürdigste dabei war, es wußte die medizinische Wissenschaft 
weder über die Ursachen, noch üb>r die Heilung dieses Leidens bestimmte Angaben zu machen, 
und wurden verschiedene Vorschläge gemacht, auch der unermüdliche Bazillus als mutmaß 
liche Ursache entdeckt, der nun gezüchtet werden sollte. Bis endlich von seiten der Regierung 
angeordnet wurde, alle Erfahrungen zu sammeln und darüber zu berichten. Wie neuerdings 
in den Zeitungen zu lesen war, ist das Geheimnis indeß bis heut, also nach Jahr und Tag, 
noch nicht gelöst worden. 
Unter diesen Umständen dürste es angemessen sein, auch meine Erfahrungen über 
Ursachen und Beseitigung genannten Leidens mitzuteilen; die Lösung des Geheimniffes 
erscheint mir so natürlich und einfach, daß man sich darüber wundern wird und ich Ihnen, 
Herr Redakteur, gestatte, mir den Kopf ordentlich zu waschen, wenn der Gmndgedanke 
meiner Ansicht falsch ist. 
Die Influenza hat ihre Ursache in der gestörten Thätigkeit des Magens und in der 
gestörten Verdauung, und demzufolge in dem gestörten Umlauf des Blutes. Diese Störung 
wird hervorgerufen durch plötzlichen Eintritt naßkalter Ost-Lust und Einatmung derselben 
durch den Mund, wie dies namentlich im Herbst 1889 plötzlich der Fall war und der Ost 
wind sich über ganz Europa verbreitete. Ferner kann das Leiden hervorgerufen werden 
durch kaltes Trinken besonders ohne Durstgefühl und bei vollem Magen, so daß z. B. das
	        
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