Volltext: Der Naturarzt 1891 (1891)

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auch wieder der ursprüngliche Durchfall und zwar in der heftigsten Weise ein. Durdr 
Bettdampfbäder, Ganzpackungen und Leibumschläge mit nachfolgenden 20 gradigen 
Waschungen war aber auch dieser in einigen Tagen gehoben. 
Der andere Fall betrifft einen Herrn in den fünfziger Jahren, zu dem ich eines 
Abends nach 11 Uhr wegen eines eingeklemmten Bruches gerufen wurde. Die Einklem 
mung bestand ungefähr seit 4 Uhr nachmittags. Die herausgetretene und eingeklemmte 
Darmschlinge war prall mit Luft gefüllt und gar keine Möglichkeit vorhanden, dieselbe 
unter den vorliegenden Umständen wieder in den Leib zurück zu bringen.* *) Brechreiz 
fing bereits an sich einzustellen und den Kranken zu belästigen. Ich liess hier feucht 
warme Aufschläge auf den Bauch und seine Umgebung legen, um den Reizzustand und 
damit die Spannung in der Bruchpforte aufzuheben. Milde feuchte Wärme wirkt bei 
längerer Einwirkung beruhigend, erschlaffend auf die Nerven und die Gewebe. Um den 
Leib wurden aus demselben Grunde noch feuchtumwickelte Wärmflaschen gelegt. Dem 
Steiss liess ich eine erhöhte Lage geben. Durch diese Behandlung ging der Bruch 
2 1 /* Uhr ganz von selbst ohne jede sonstige Unterstützung wieder in den Leib zurück. 
Aus diesen beiden Fällen ersieht man, dass auch bei solchen Erkrankungen die 
Behandlung in jedem Falle eine individuelle sein muss. Bei dem einen Kranken brachte 
feuchte Wärme schnelle Hilfe, bei dem andern dagegen musste ich kühle Auf- und Um 
schläge machen lassen. In dem einen Falle war manuelle Beihilfe nicht nötig, in dem 
andern wäre es ohne das Schütteln und Walken des Bauches, also ohne Massage, gewiss» 
nicht gelungen, den Kranken vom sicheren Tode zu erretten. Der Fall B. lehrt aber 
ganz besonders, dass wir selbst dem Zweige der medizinischen Wissenschaft, der so zu 
sagen ihr Paradepferd ist, der Chirurgie, mit unseren einfachen, natürlichen, überall 
leicht zu beschaffenden und anwendbaren Heilmassnahmen noch weit überlegen sind. Durch 
dieselben war es mir gelungen, diesen doch gewiss schweren Fall nicht allein ohne Messer,, 
auf welchem bei derartigen Fällen das Heil des Kranken und das der Wissenschaft in 
letzter Instanz beruht, einem glücklichen Ausgange entgegenzuführen, sondern ich konnte 
mit ihnen selbst da noch Hilfe bringen, wo das Messer im Stühe gelassen hatte. Wohl 
werden wir die Chirurgie in der Heilkunde nie ganz entbehren können. Eine operations 
lose Heilkunde kann und wird es aus den verschiedensten Gründen nie geben. Die 
Chirurgie wird uns aber noch einen um so grösseren Teil des Gebietes, welches sie bisher 
als ihr ausschliessliches Arbeitsfeld betrachtet hat, abtreten müssen, je mehr die Natur 
heilkunde Gemeingut der Menschheit werden wird. 
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Morphiumsucht.*) 
Ueber Oskar v. Redwitz, den vor wenigen Tagen in einer Privatanstalt ver 
storbenen Sänger des „Amaranth“, spricht Ernst Wechsler in der „Nat.-Ztg.“: Redwitz: 
musste seinen schon frühzeitig errungenen Dichterruhm dem Schicksal durch schweres 
Siechtum bezahlen. Die wohlthätige Kraft, die er zur Linderung seiner Leiden anrief, 
das Morphium, wurde ihm zum Dämon, der ihn rettungslos in die Tiefe riss. Die Briefe* 
und er war ein unermüdlicher, treuer Briefschreiber, die er an seine Freunde richtete, 
widerhallten von Klagen über sein Leiden, das ihm Ruhe, Stimmung und Lebensfreude 
raubte. Der Dichter, der zeitlebens einem schönheitsdurstigen Idealismus huldigte, waF 
nicht der Mann, sich der Morphiumsucht bedingungslos gefangen zu geben; er führte 
mit ihr einen verzweifelten Kampf, bis er schliesslich erlag. Es sei mir gestattet, aua 
einem umfangreichen, vom 7. Januar 1886 datierten längeren Schreiben eine Stelle zu 
zitieren, welche nicht allein von allgemeinem Interesse ist, sondern auch auf den Charakter 
des dahingeschiedenen Dulders ein helles Licht wirft: „Ihr lieber Brief traf mich in einer 
schweren Zeit, die gottlob jetzt überwunden hinter mir liegt und mit solchen Kämpfen 
und Qualen hoffentlich nie mehr wiederkehren wird. So hören Sie ganz kurz meine 
Leidens- und Erlösungsgeschichte! Schon seit vollen 13 Jahren war ich durch ein sehr 
schmerzhaftes neuralgisches Leiden zu Morphiuminjektionen bei Tag und Nacht genötigt* 
Ich trage ca. 63 000 Stichnarben an meinem Leibe, und vor nun gerade 10 Jahren war 
ich bis auf 24 Gran (ca. I 1 /* g) gestiegen und lag volle 5 Monate an der Morphium- 
*) In solchen Fällen habe ich mehrmals die Gase durch eine zusammengepresste^. 
eingeführte Ballon-Klystierspritze mit grösstem Erfolge abziehen lassen. D. Red. 
*) Da in letzter Zeit eine Anzahl hervorragender Männer, Professoren der Medizin» 
Dichter und Denker der Morphiumsuchjb erlegen sind, so drucken wir nachstehenden Artikel 
Prof. Dr. Jägers Monatsblatte nach, um zu zeigen, welche unerhörte Verantwortung die 
Gift-Heilkunde auf sich ladet, wenn sie gleich immer zur Spritze greift D. Red.
	        
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