Kap. X. Die griechisch-römische Zeit. (§ 863.)
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Caesars Eroberung machte die Romanisierung rasche Fortschritte, da der
Boden gut vorbereitet war und die Gallier sich eifrig dem Neuen zu
wandten. Nivelliert wurde darum doch nicht alles. Die keltische Reli
gion erhielt sich neben und inmitten der griechisch-römischen und schützte
sowohl unförmliche Idole 1 ) als Votivbilder, die Nicht-Galliern unverständ
lich waren. 2 ) In der Provence dauerte trotz der Niederwerfung Massa-
lias der griechische Einfluss bis in das zweite Jahrhundert fort. 3 ) Wir
werden kaum irre gehen, wenn wir das Grabmal der Julier von St. Remy
und den wahrscheinlich Tiberius errichteten Triumphbogen von Orange
auf Massalia zurückleiten. 4 )
Obgleich der Boden Galliens an sehr vielen Stellen Marmor, auch
Alabaster, Serpentin, Granit und Porphyr in sich birgt, 5 ) hat sich eine
tüchtige Steintechnik nicht entwickeln können. Im Süden hatte man eher
Gelegenheit, griechischen Marmor, vielleicht auch fertige Arbeiten zu
Schiffe einführen zu können. 6 ) Von dort stammt auch die eigenartige
„Venus von Arles“ mit ihrer Rubens’schen Fülle, 7 ) welcher die parische
Aphrodite von Frejus (sog. „Venus genetrix“ des Arkesilaos) gegenüber
steht. 8 ) Die meisten Steinskulpturen sind zumeist in einheimischem Mate
rial plump gearbeitet, 6 ) was oft ein farbiger Überzug beschönigen musste.
Ein Relief des Museums von Sens (aus dem „3.“ Jahrhundert) zeigt eine
interessante Gliederung in Rechtecke, welche die Einzelfiguren in Vorder
ansicht enthalten. 10 ) Die Bronzearbeit stand höher, weil die Gallier durch
den Zinnhandel von Alters her mit dem Stoffe vertraut waren. Unter
den häufig gefundenen Figuren befinden sich mehrere weniger vollkommene,
die man den Galliern zuzuschreiben pflegt, andererseits sind aber vortreffliche
Arbeiten erhalten. 11 ) Die realistische Figur eines bis auf die Knochen
abgemagerten Menschen fällt durch ihre griechische Kursivinschrift auf. 12 )
Die grossen Figuren sind, wie überall, selten. Wir notieren schliesslich
die bronzenen Büsten von Göttern in einer Art Umrahmung, die aus At-
abecedaire on rudiment d’archeologie I. ere
galloromaine, 2. Anfl. Caen 1870 m. Abb.;
L. Friedländer, Gallien u. seine Kultur
unter den Römern, Deutsche Rundschau,
1877 Dezember.
*) Sulp. Sev. dial. 2 (8), 8, 4. 9, 2.
2 ) Z. B. „Jupiter mit dem Rade“: Ra.
41, 3 ff. T. 1; bronzener Eber mit 3 Hörnern.
3 ) Favorinus von Arelate schreibt grie
chisch; die Münzen von Nemausus zeigen
unter Augustus alexandrinische Zeitrechnung
und Zeichen (Mommsen, röm. Gesch. V 3 100).
4 ) Beide im Abguss zu St. Germain.
Über ersteres s. L. Lohde, Rhein. Jahrbb.
1867, m. T.; Antike Denkm. I T. 18—17;
Triumphbogen, Reliefs: Phot. Bruckm. 92—5.
5 ) Hericart de Thury, A. des mines
VIII (1823).
6 ) Satyr von Vienne: Wolters Nr. 1498;
Sarkophag aus Bordeaux im Louvre Nr. 240.
7 ) Louvre Nr. 137. Eigentlich ist nur
der Kopf (Phot. Giraudon) ausgeführt. Sie
wurde im Theater gefunden. Der Provenzale
Salvian (gub. d. 6,60) spricht von der Theater
venus.
8 ) Louvre Nr. 135; Wolters 1208.
9 ) Z. B. Medea und ihre Kinder aus
Sandstein in Arles: Millin, voyage T. 68, 2
u. gall. myth. 102, 427; AZ. 33, 65 f. T. 8, 2;
Basaltrelief mit phantastischen Seewesen,
in Dinan: Ra. n. s. 43 T. 2 (bei Münzen des
Gallienus u. Postumus gefunden).
10 ) Phot. Giraudon.
11 ) Z. B. Clarac 826, 2083b (Krieger;
vgl. Heydemann, Pariser Antiken 70); B.
monum. 1876, 352 m. Abb.; Monteaucon,
antiq. expl. 1, 132 T. 76, 4; Grivaud de la
Vtncelle, recueil p. 116 T. 13, 8; Ga. VIII
T. 10 (Victoria); Ga. 6, 134 f. T. 20/21 u. Ra.
1880 II 65 ff. T. 13/4 (Porträtbüste mit
blauen Glasaugen); Ga. 9,80 f. T. 11 (Merkur
büste).
12 ) Ra. 1,458 ff. T. 13; vgl. Paus. 10, 2, 6.
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