276 Der Angriff des Oberbefehlshabers Ost gegen die russische Narew-Front.
2. Zu«. Insbesondere scheint der Oberbefehlshaber Ost die Aufgabe der Armee-
Gruppe Gallwitz enger aufgefaßt zu haben, als es den Absichten des Gene¬
rals von Falkenhayn entspracht). Demgemäß ist er hinsichtlich der Ent¬
blößung der Front westlich der Weichsel und der Kräftebemessung für den
Narew-Stoß zu einem anderen Ergebnis gekommen, als es die Oberste
Heeresleitung gewünscht haben mag. Diese Meinungsverschiedenheiten
sind nicht offen zum Ausdruck gekommen, vielmehr hat sich General von Fal¬
kenhayn im wesentlichen mit dem abgefunden, was der Oberbefehlshaber
Ost für richtig erachtete.
Dem Angriff der Armee-Gruppe Gallwitz sollte sich die 8. Armee an¬
schließen. Im übrigen wurde, wie General von Falkenhayn nach dem
Kriege schrieb52), „die Aufmerksamkeit des Oberbefehlshabers darauf gelenkt,
daß es notwendig wäre, vorläufig die gesamten, an seiner Front sonst noch
verfügbaren Kräfte" an der Narew-Operation zu beteiligen. Vis diese
durchgeführt sei, müßten „alle Unternehmungen, die nicht unmittelbar Siche-
rungszwecken dienten, auch im Norden, zurückgestellt werden. Andererseits
wäre es angezeigt, Vorkehrungen zu treffen, die ein schnelles Verschieben
von Truppen aus der Narew-Gruppe nach Norden zu einem späteren Stoß
Heeresleitung hieß es: „In Bestätigung der heutigen Besprechung erwartet
Seine Majestät, daß die in Aussicht genommene Operation gegen einen Teil der
Narew-Front geführt werde. Je früher der Stoß dem Gegner fühlbar wird, um
so wirksamer im Sinne des Ganzen würde er sein." — Im Kriegstagebuch
des Oberbefehlshabers Ost heißt es nur, daß der „Einsah der verfügbaren
Kräfte bei der Armee-Gruppe Gallwitz" erfolgen solle.
*) General Ludend orff schrieb im Jahre 1919 (Erinnerungen, S. 115), der
Kaiser habe die Fortführung der Offensive in Polen angeordnet, insonderheit daß
die Armee-Gruppe Gallwitz „den vor ihr befindlichen Feind zu durchbrechen und gegen
den Narew vorzudringen habe, während die 9. Armee und General von Woyrsch
gegen die Weichsel vorgehen sollten". Im Gegensatz dazu erwähnte General
vonFalkenhaynin seinem etwas später erschienenen Buche (S. 99) nichts davon,
daß die 9. Armee und die Armee-Abteilung Woyrsch gegen die Weichsel vorgehen
sollten, sondern schrieb: Der Oberbefehlshaber Ost erhielt Weisung, die Armee-
Gruppe Gallwitz „zu beiden Seiten von Przasnysz die russischen Stellungen am
unteren Narew durchbrechen und zur Cnlastung der Heeresgruppe Mackensen gegen
den Bug vorgehen zu lasten. Daß dabei das Abschneiden der an der Weichsel und
vor Mackensen stehenden feindlichen Massen angestrebt werden mußte, lag auf der
Hand". Nach dieser sicherlich genau durchdachten Fassung ist es zum mindesten
zweifelhaft, ob das „Abschneiden der feindlichen Massen" bei Erteilung des Auf¬
trages überhaupt erwähnt, und vollends, ob es als das Ziel des Angriffs angegeben
wurde, als solches scheint vielmehr nur die „Entlastung der Heeresgruppe Mackensen"
bezeichnet worden zu sein.
2) von Falkenhayn, S. 98.