Volltext: Almanach der feinen Küche

26 
Wie kann man gut und reizvoll kochen 
Vergessen wir auch nicht, daß es immer riskant ist, sich mit 
seiner Köchin zu Überwerfen: Was man hat, hat man, und man weiß 
nie, was man statt dessen bekommt. Wenn sie gar nichts taugt, 
besteht selbstverständlich kein Grund, sie zu behalten. Wenn sie 
aber im großen und ganzen zufriedenstellend ist, warum wechseln? 
Mag sie etwas langweilig oder halsstarrig sein, wer weiß, ob sie 
nicht dasselbe von ihrer Herrin denkt. Man muß auch einmal ein 
Auge zudrücken, selbst bei Dingen, die manche Leute mit Aus 
beutung bezeichnen würden. 
Ich erinnere mich, daß wir während des Krieges im Jahre 1916 eine 
alte, dicke Köchin in der Offiziersmesse hatten. Fast mit Gewalt hatten 
wir sie von Bethune, wo sie in einem Keller hauste, in unser Haupt 
quartier nach Lillers zurückgeschleppt. Sie war eine gescheite Person, 
eine glänzende Köchin und sehr launisch. Einmal wollte sie uns ein 
Gericht aus Kalbfleisch bereiten. Kalbfleisch war damals selten und 
teuer, aber es tat uns nicht leid, für so gutes Fleisch vier Franken 
das Pfund zu zahlen. Es tat uns nicht einmal leid, als wir merkten, 
daß das fragliche Gericht keineswegs Kalbfleisch, sondern ganz ge 
wöhnliches Rindfleisch aus dem Heeresproviant war. Sie hatte es in 
Natron eingeweicht, gewässert und tagelang mariniert, und wer 
weiß was noch mit ihm angestellt. Für sie ein glatter Profit, für uns 
eine angenehme Abwechslung. Die reinste Ausbeuterei, würden eng 
herzige Leute sagen. Nein, ein redlicher Handel: Wir hatten alle das 
Gefühl, für unser Geld etwas Angemessenes bekommen zu haben. Mit 
so einer Köchin würde ich mich nicht Überwerfen. 
Eine andere Köchin, die ich kenne, ist seit fünfundzwanzig Jahren 
in derselben Familie, und wenn man ihr sagt, sie solle dies oder das 
tun, tut sie es oder tut es auch nicht. Sie ist keine gescheite 
Person, aber eine geborene, erstklassige Köchin. Einmal schenkte 
ich ihr ein Rezept, das sie kennenlernen wollte, doch wies sie meine 
sorgfältig aufgeschriebenen Anweisungen zurück: Sie habe nie etwas 
gelernt, sagte sie, nicht einmal Kochen, und könne weder lesen noch 
schreiben. Aber wenn ich es ihr erklären wollte, würde sie es schon 
verstehen. Ebenfalls eine Köchin, mit der ich mich nicht Überwerfen 
würde. Vor allem aber, um noch einmal Meredith anzuführen, „da 
der Mensch nichts so schlecht verträgt wie das Bewußtsein seiner
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.