Volltext: Neue Fragmentenfunde in der Linzer Studienbibliothek

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Sohn Adolf für den Beruf eines Rabbiners. Er sollte ein Lehrer 
des Judentums im Sinne des Wiener Predigers Mannheimer 
werden und jüdische Gelehrsamkeit mit profaner Wissenschaft 
verbinden. Zu diesem Zwecke absolvierte er noch als Talmud¬ 
jünger des berühmten Pester Oberrabbiners Löw Schwab, zu 
dessen vielversprechenden Schülern er gehörte, die Gymnasial¬ 
studien, ging dann nach Prag, um seine talmudischen Studien 
fortzusetzen, und erlangte an der Prager Universität anfangs 
1848 das Doktorat der Philosophie. 
Im April dieses denkwürdigen Jahres hätte bekanntlich der 
ungarische Landtag dem König Ferdinand große Zugeständ¬ 
nisse für Ungarns Selbständigkeit abgerungen, welche die Wie¬ 
ner Regierung, im Laufe des Sommers, ermutigt durch die Siege 
Radetzkys gerne zurückgenommen hätte. Als Mittel zu diesem 
Zwecke sollten die ungarisch-kroatischen Wirren dienen. Der 
Banus von Kroatien Baron Jelacic hatte am 11. September 1848 
mit seiner Armee die Grenzen Ungarns überschritten. In Pest 
bildete sich ein Landesverteidigungsausschuß, welcher die Ab¬ 
wehr dieses Einbruches auf ungarisches Gebiet organisierte. 
Die waffenfähige Jugend eilte begeistert freiwillig zu den Hon- 
veds und die ungarische Revolution hätte begonnen. 
Sigmund und Josef Kollinsky, welche in Wien in kaiser¬ 
treuen Traditionen erzogen worden waren', befürchteten, daß 
ihre erwachsenen Söhne zu den Honveds assentiert werden 
könnten, und bewogen 'dieselben, nach1 Wien! zu reisen, um 
daselbst ruhigere Zeiten abzuwarten. So reiste denn der junge 
Doktor in Begleitung seines Vetters Ignaz nach der Reichs¬ 
hauptstadt. Dort lebten die Söhne des David Kollinsky, unter 
welchen der Armeelieferant Moritz Kollinsky, nachmals Schwie¬ 
gervater des kaiserlichen Rates Wilhelm Naschäuer, und der 
in der Leopoldstadt bekannte praktische Arzt Karl Kollinsky 
durch ihre soziale Stellung hervorragten. Während nun die 
besorgten Väter wähnten, daß ihre Söhne bei den Wiener 
Verwandten in Sicherheit wären, waren diese aus dem Regen 
in die Traufe gekommen. 
Dr. Adolf Kollinsky hatte nämlich gleich nach seiner An¬ 
kunft in Wien mit studentischen Kreisen1 Fühlung genommen 
und sich denselben angeschlossen. Schon wenige Tage später, 
am 6. Oktober, war er gegen Abend zur Erstürmung des 
kaiserlichen Zeughauses mitgezogen und fiel daselbst unter 
den ersten Opfern des erbitterten Kampfes. Wie tief mußte 
der Drang nach Freiheit in der Seele des jungen Mannes ge- 
wurzelt haben, wenn er sich bewogen fühlte, trotz seiner 
schwächlichen Konstitution und außerordentlicher Kurzsichtig¬ 
keit, kurz vor Erew Jomkippur, zu den Waffen zu greifen. 
Am 9. Oktober wurde Dr. Adolf Kollinsky, dessen Leichnam 
von seinem Vetter Ignaz agnosziert worden war, auf dem 
Währinger Friedhof beerdigt. 
Wenige Tage später spielte sich auf dem Pester Haupt¬ 
postamte eine ergreifende Szene ab. Es hatte sich in Pest 
das Gerücht verbreitet, daß bei den Wiener Straßenkämpfen
	        
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