Volltext: Katholische Dichtung

VERLAG JOSEF KÖSEL & FRIEDRICH PUSTET MÜNCHEN 
HELENE HALUSCHKA: 
DER PFARRER VON LAMOTTE 
Es find größere Heilige auf Mutter Erde gewandelt, als unfer Pfarrer von 
Lamotte. Keiner aber, glaube ich, war tiefer erfüllt von menfchlichem Ver 
liehen und Erbarmen. 
Er war überhaupt kein Heiliger, dazu liebte er zu lehr feinen Rofengarten, 
fein Glas Neuchateierwein und fein Speckbrot, aber keiner machte ihm daraus 
einen Vorwurf, denn feine Schwächen brachten ihn den Menfchenfeelen näher 
als feine Tugenden. 
Er war von feiner Gemeinde ftarrköpfiger Schweizer, wo vor ihm keiner 
ausgehalten hatte, über alle Maßen geliebt und verehrt. 
Leicht mag es vor dreißig Jahren der gute Pfarrer nicht gehabt haben, als 
er, der Deutfchfchweizer, in diefem verlorenen Juradorf an der franzölifchen 
Grenze feine Seelforge begann. Seine unmögliche Art, das Franzölifche aus- 
zufprechen, hatte Lachftürme rund um die Kirche entfelfelt. Dabei bediente 
fich der gute Mann der faftigften Ausdrücke, nannte eine Katze eine Katze 
und anderes dergleichen. Er war ein arger Sonderling und ging immer feinen 
Weg geradeaus, ohne Angft und ohne kleinliche Rücklichten. 
Er ging aber den Weg der allüberbrückenden Liebe und Offenheit und fehr 
bald war er weit und breit für reich und arm ,unfer Pfarrer (not cure)‘. 
Seinen eigentlichen Namen habe ich nie erfahren; der ,Pfarrer von Lamotte 4 , 
wie er lieh felbft nannte, war unbeftritten allgemeines Gut. 
Zwei ganz kleine Grenzgemeinden, das franzölifche Bremoncourt, das fchwei- 
zerifche Lamotte . . . Lamotte hatte die Kirche, Bremoncourt hatte die Schule 
und die Schweizer Kinder zogen Tag für Tag zweimal über die Brücke (fechs 
Meter lang), die die Grenze bildete, um bei der ,Regentin 4 — fo nennen die 
Schweizer die Lehrerin — ein Stück franzöfifcher Kultur zu holen. Am 
Sonntag kamen dafür die franzölifchen Bauern von Berg und Tal über die 
Brücke in die deutfch-fchweizerifche Pfarre, ihr Seelenheil zu fuchen. — 
Die ,Regentin 4 war fo fchön als unfer Pfarrer häßlich, fo zart als er ftark 
und fchwerfällig war und fo jung als er alt war, dabei außer der Almbäuerin 
die einzige Ketzerin im katholifchen Lande. Als lie nach dem Tode des alten 
Lehrers kam, wurde lie mit allen Zeichen menfchlicher Verachtung empfangen. 
Keiner wollte ihr Milch und Eier verkaufen, lie fprach den Leuten viel zu 
fein, fah aus wie ein Rührmichnichtan 4 und hielt in der vernachläfligten 
Schule Itrenges Regiment. Unfer Pfarrer machte ihr zuerft Befuch. Unter 
wegs auf der Brücke hatte er, wie er mir fpäter erzählte, für das Gelingen 
feines Befuches ein Hilles Vaterunfer gebetet. Viel geredet hatten die Leutchen 
damals, weil er feine Sonntagsfoutane an einem Wochentage angezogen hatte. 
Da der Bürgermeifter aber erklärte, daß es fo Sitte fei, hier über der Brücke 
irn, Franzölifchen, fo hatte lieh alles wieder beruhigt. 
Diefer erfte Befuch wäre würdig, als hiltorifche Begebenheit gewertet zu 
werden. Die beiden Hugenottinnen, die ,Regentin 4 und ihre Mutter — und 
der alte Pfarrer. 
Über alles Erwarten gut ift die Gefchichte gegangen. Die ,Regentinmutter 4
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.