Volltext: Katholische Dichtung

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Nun erft merkten die zwei auf der Ofenbank, daß es fpät fei und dunkel, 
Zeit zum Heimgehen. 
Langfam fchritten fie mitfammen die Straße hinauf ins Dorf. Sie redeten 
vom Wurften und vom Schnitzen, von der Schneelahn, die vom Puflatfch 
niederging und vom Kanzler Bismarck. Was das eine dem anderen fagen 
wollte, beredeten fie nicht. 
So kamen fie ans Bildftöckl an der Purgerbrücke, wo die Häufer anfangen, 
Lichtfchein aus hellen Stuben auf die Straße fällt, durch das Loch im Vor 
hang neugierigen Augen lugen. 
In der Verborgenheit der kleinen Wegkapelle nahmen fie Abfchied. 
Da fiel Anna Marie dem Seppl um den Hals und küßte ihn. 
Es war der erfte Kuß, und der einzige. Ein Kuß voll der Innigkeit und 
Reinheit, wie nur die ganz Magdlichen küffen können. Wie man nur ein 
mal küßt. 
„So alfo liebft du mich, du Stille, du Herbe, du wortlos Verfchloffene . . . 
So liebft du mich!“ orgelte es unausfchöpfbaren Jubels voll durch die Seele 
des Überfallenen. 
Die Freude hob die zwei fchmalen Wände und die niedere Decke. Die 
Kapelle wurde zum Dom. Der Dom wurde zu eng. 
Seppl trat in den Nebel. Bog links feitwärts ab. Setzte über den Bach. Stürmte 
über die verfchneiten Hänge, durch die weglofe Nacht. Glück kennt keine 
Wegmark. Alles Ebene und Unebene ift ihm Straße. Glück macht blind 
und taub. Seppl fah nicht, daß er beobachtet, verfolgt wurde . . . Daß 
fchwarze Geftalten hinter ihm, neben ihm, vor ihm auftauchten, verfchwan- 
den. Er hörte die wifpernden Stimmen, den Pfiff nicht. 
Er merkt nicht, daß ein Stein in den weichen Schnee fchlägt, vor ihm, zwei 
Schritte vor ihm, . . . und noch einer, . . . und wieder einer hinter ihm. . . . 
Hinter dem Stadel von Muradores hervor brechen die Lauernden, den 
Knüppel in der Hand, die Larve vor dem Geficht, den langen Mantel um. . . . 
Seppl fragt nicht, überlegt nicht, fagt nichts. 
Einen nach dem anderen faßt er, ihrer fünf, fechs . . . Wirft fie, entwindet 
ihnen den Knüppel, reißt den fchwarzen Fetzen vom Geficht... Erkennt fie ... 
Feige, elende, neidifche Bande! 
Niederringen will er fie, wie in diefer Nacht, gelobt der Sieger im ungleichen 
Kampf auf dem einfamen Heimweg. Kraft fühlt er in fich, zu fteigen, zu 
ftreben, über fie alle hinaus zu wachfen. 
Nach München will er, lernen. Ein Meifter werden ... ein Könner unter 
Halbkönnern, ein Künftler. Allen Neidern zum Trutz. . . . Anna Maria 
zulieb. 
Entnommen (gekürzt) aus: „Der Lujenberger“. Der Roman eines Künßlerlebens von Maria 
Veronika Rubatjeher. Mit 16 Bildern in Tiefdruck nach Gemälden 
des Künßlers. 328 Seiten. In Leinen M. 8.30 
„Maria Veronika Rubatfcher ftellt fich neben untere Beften. Nach dem 
„Schweißtuch der Veronika“ von Gertrud von Le Fort hat uns kaum ein 
katholifches Werk fo befriedigt wie diefes. Rein, reich, ftark und form# 
vollendet. Die Verfafferin weiß Charakterköpfe in fo plaftifcher Lebern 
digkeit zu zeichnen, daß ihre Feder es dem Pinfel ihres Helden, des 
Moroder Seppel vom Lufenberg, oder gar dem des alten Meifters* De* 
fregger gleichtut.“ „An heiligen Quellen“
	        
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