Volltext: Das Türkenbett

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Julius Zerzer 
Kürnbergerwaldes. Gegen Norden schloffen die Mühlviertler Höhen ihre rosig 
dämmernde Hügelkette. Da die eroberte Ortschaft noch immer in Flammen stand 
und schwere Rauchsäulen, durch den abendlich erwachenden Wind gebeugt, ihre 
gewundenen schwarzen und grauen Schwaden durch das Gelände wälzten, hatte 
der Kaiser die Verfügung getroffen, daß er in dem eine Wegstunde abseits 
liegenden Kloster St. Florian sein Nachtquartier nehmen wolle. Schon war ein 
Teil des Hofstaates und mit ihm der unentbehrliche Kammerdiener Constant 
nach dem neuen Bestimmungsorte vorausgeeilt. Der Kaiser selbst bestieg nun 
seine leichte Kalesche, die schon auf ihn wartete und die an seiner Seite nur 
einen Platz für seinen Generalstabschef freiließ, für Berthier, den Fürsten von 
NeuchLtel, der seinen Gebieter auch diesmal nach strenger Gewohnheit beglei¬ 
tete. Auf dem Bocke thronte neben dem Kutscher der Mameluck Roustam im 
vollen Theaterprunk seines orientalischen PhantastekostümS, mit dem mächtigen 
weißen Turban, der roten Weste, den weiten Pluderhosen, mit dem türkischen 
Patagan, der noch niemals Blut geleckt, mit den kunstvoll verzierten Pistolen 
im Gürtel, die doch niemals losgingen, wenn sie überhaupt mit Blei und Pulver 
geladen waren. 
Zwei Jäger der Garde und zwei Ordonnanzoffiziere sprengten als Auf¬ 
klärer der Kalesche voraus. Am rechten Wagenschlag ritt der Stallmeister vom 
Dienst, am linken der die Bedeckung kommandierende General. Dann folgten 
die Flügeladjutanten des Kaisers, Ordonnanzoffiziere und Pagen, zuletzt eine Ab¬ 
teilung Gardejäger zu Pferde. Es war die gewohnte, die unverrückbare Ordnung, 
in der auch diesmal der Kaiser reiste. Der Page vom Dienst trug den Feld¬ 
stecher vorschriftsmäßig am Bandelier. Der Portefeuillejäger führte Karte, 
Schreibzeug und Kompaß in seinem Tornister mit. Aber der Kaiser bediente 
sich diesmal weder des Feldstechers noch der Karte. In sich versunken, schweigend 
saß er neben dem Generalstabschef, kaum schenkte er, als sie auf die Höhen des 
groß geschwungenen Tafellandes gelangten und nun die blauen Zackenberge der 
Alpen hinter dunklen Wälderkämmen erwuchsen, der mild entschleierten Abend¬ 
ferne einen flüchtigen Blick. Die Worte MaffenaS saßen in seinem Herzen, 
schlichen sich wie ein langsam wirkendes Gift immer tiefer in sein entrücktes 
Denken. Ein Bluttag war es, der hier in heiterer Klarheit zur Ruhe ging, ein 
sinnloses Opfer hatte man hingeschlachtet und vermaß sich nun, ihn selbst als 
den Moloch anzurufen, dem eS gewidmet war. Er wollte dieses unverlangte 
Opfer nicht anerkennen — und dennoch, es war in seinem Namen herauf¬ 
beschworen, er mußte eS gelten lasten, und wenn eö ihn auch davor schauderte. 
Wahr, er hatte vor diesem Feldzug von seinen Offizieren das Letzte gefordert 
an Tatkraft und Tapferkeit. Hätte er eö unterlassen sollen? Aber er brauchte 
einen raschen, einen blendenden Sieg. Die Österreicher waren nur seine Geg¬ 
ner. Seine Feinde hatte er im Rücken der großen Armee. Sie saßen daheim in 
Paris. Die mußte er mundtot machen. Ja, ja, Talleyrand, dieser Schurke mit 
der ehernen Stirn, dieser hinkende Teufel, er hatte sich mit seinem alten Gegner 
Fouche, dem süßlich lächelnden Spitzbuben, ausgesöhnt, als sie ihn, den Kaiser, 
in Spanien schon geschlagen und halb verschollen wähnten, sie waren Arm in
	        
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