Volltext: Romeo und Julie am Pregel

Romeo und Julie am Pregel. 21 
keinen Hund aus dem Ofen; er wisse ganz andere Dinge 
zu fragen. 
Um seine Tafelrunde anziehend zu machen und zu 
erhalten, hatte er stets einige junge Damen eingeladen, 
welche Geist und Schönheit vereinigten, beides allerdings 
in dem eigenartigen orientalischen Kolorit. Rahel Michal 
war eine gefeierte Schönheit des Königsberger Ghetto 
in des Wortes verwegenster Bedeutung, in welcher der 
selbe bis hinauf in die Salons der Geheimen Kom 
merzienräte reicht. Wenn der Tabor und der Libanon 
Sitz der Musen gewesen wären, man hätte glauben 
können, sie sei von einem dieser Berge herabgestiegen 
zu den Sterblichen^ von so durchgeistigter Schönheit war 
ihr Gesichtsausdruck und ihr ganzes Wesen. Eine Muse 
fürwahr, doch zugleich eine Rose von Saron, blühend 
und glühend. Der junge Doktor, der zweimal ihr Tisch 
nachbar gewesen, sah in ihr nur die Muse, aber er 
begeisterte sich für diese, und es währte nicht lange, 
so hatte er das Recht erworben, sie zu besuchen, zu sinn 
vollen Gesprächen, zu gemeinsamen Studien. Es war, 
als wäre ein Schleier geworfen. über das schöne Weib, 
ein Sternenschleier, und er sah nur die Himmelskugel, 
welche diese Urania in der Hand trug, und nicht die 
zarte Hand und die schöne Göttin, der sie gehörte. 
Der Geist der Frauen ist eine starke Waffe für ihre 
Siege, aber er kann auch übermächtig sein und diese 
Siege gefährden; die Schönheit entschwindet in dem 
blendenden Lichte, das er über sie ergießt. Das Orakel 
ist geschlechtslos, und wer denkt an das Weib, wenn er 
die Stimme der Priesterin von Delphi hört? 
So kamen sie oft zusammen und nie wurde ein 
Wort von Liebe gesprochen. Ernst empfand wohl die 
Anziehungskraft ihres Wesens; er bewegte sich mit einem 
Gefühl stillen Glückes in ihrem Zauberkreise, aber es 
war nur die geistige Harmonie, die ihn beglückte. Er 
war nicht blind für den Adel ihrer Züge, das Feuer 
ihres Auges, den Reiz ihrer schlanken und vollen Ge 
stalt; aber er sah dies alles mit den Augen eines 
Bruders, der sich an der Schönheit einer Schwester erfreut. 
Oder sah er in diesem Mädchen eine Fremde, die ihm 
nie angehören durfte, und trat er ihr deshalb nicht mit 
kühneren Wünschen entgegen? Lag doch zwischen ihnen 
eine damals schwer auszufüllende Kluft. Dem Glauben
	        
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