Volltext: Kriegs-Kalender für das Jahr 1917 (1917)

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Jo rasch wie möglich herüberkommen! Aber 
laufen Sie, Meier, rennen Sie, was Sie 
können!" 
„Befehl, Herr Leutnant!" Eilig ver- 
schwand der Mann in der Tür, um den.Auf- 
trag pünktlich auszuführen. 
Und während mir der alte Feldwebel 
in kurzen Worten berichtete, daß das ganze 
„Franzosennest" rebellisch wäre und über die 
Truppen hergefallen sei, daß jetzt aber wieder 
Ruhe eingetreten wäre, nachdem man etliche 
der Freischärler getötet und viele gefangen 
genommen hätte, wandte ich mich voll Be- 
Zorgnis wieder der Frau zu, die mir hatte 
wiederholt das Leben retten wollen, die noch 
vor wenigen Minuten den Mordstahl dicht 
vor meiner Brust aufgehalten hatte, der ihr 
nun selbst im Herzen saß. Ich hob lang- 
fam ihr Haupt empor. 
Ihr langes, tiefschwarzes Haar hatte sich 
bei dem Sturze aufgelöst und glitt nun in 
üppiger Fülle seidigweich über meine rauhe 
Kriegerhand. Ein Gefühl grenzenlosen Wehs 
durchbebte mein Herz. Das war der Krieg 
■— der unbarmherzige Krieg. Er forderte 
Leben nach Leben. Doch anders war es, 
wie ein Held auf lautumdonnertem Schlacht- 
feld fürs Vaterland zu fallen, als vom tücki¬ 
schen Stahl des Mörders niederzusinken. Und 
noch dazu ein Weib — ein edles Weib —, 
das mußte ich mir gestehen, wenngleich sie 
Such zu unseren Feinden gehörte. Ehre auch 
em Feinde, wenn's ihm gebührt —! 
Da schlug sie die Äugen auf. 
Behutsam trug ich sie mit Hilfe eines 
der Soldaten zum nahen Diwan, wo ich sie 
sanft niederlegte. 
Der Eattenmörder blickte bei all diesen 
Vorgängen teilnahmslos ins Leere. 
„Das ist dein Werk, verruchter Schurke." 
donnerte ich den Wüterich an. indem ich auf 
die bleiche Frau deutete, die mit halb ge- 
schlossenen Lidern schwer atmend auf dem Di- 
wan lag. Ich erkannte es, wenn ich in ihr 
eingefallenes Antlitz blickte: hier stand mit 
unbarmherzig deutlichen Lettern — der Tod 
geschrieben. 
Ein höhnisches Lächeln entquoll der Brust 
des Unmenschen. 
„Verräterin!" zischte er wild zwischen den 
zusammengekniffenen Lippen hervor. 
„Fort mit diesem Scheusal." gebot ich 
der Wachmannschaft, „hinaus mit ihm an die 
Mauer und gebt ihm die Kugel!" 
Das war natürlich ohne den Befehl des 
Höchstkommandierenden in diesem Flecken nicht 
möglich. Aber sie führten ihn wenigstens hin- 
aus. damit sein Anblick mich nicht mehr störte. 
Im nämlichen Augenblick trat auch d« 
Arzt ein. 
Wir begrüßten uns ernst. Dann schrit 
er zum Lager der Frau hin. Die Unt«. 
suchung war kurz. Dann sagte er: ..Die i» 
hat keine halbe Stunde mehr zu leben!" 
„Eattenmörder!" kam es in ohnmächtj 
gem Zorn über meine Lippen, und mew 
Hand krampfte sich zur geballten Faust z« 
sammen. } 
Ein schwaches Zittern lief durch den Lei! 
der Sterbenden. Ich trat hinzu und richtet 
ihr bleischweres Haupt ein wenig auf. Jhi> 
halb gebrochenen Augen blickten so eigentw 
lich, so starr zu mir empor. 
Dann öffnete sie die dünnen Lippen, un! 
„Mein Kind, mon pauvre enfant!" kam « 
stockend — zitternd — leise, wie ein rvch 
mütiger Hauch aus ihrem Munde. 
Aber wir alle hatten es verstanden. 
„Sie will noch einmal ihr Kind sehe«, 
bevor sie stirbt," murmelte der alte bärbei 
feige Feldwebel und zerdrückte eine Träne i, 
seinem martialischen Bart. 
Er selbst schickte sich dann auf meinet 
Befehl sogleich mit noch einem Soldaten af 
das Haus nach dem Kinde zu durchsuche« 
Bald trat er denn auch wieder herein, ei> 
kleines verschlafenes Wesen von ungefähr dre 
Jahren auf den Armen. 
Ich hob es empor und legte es der sw 
benden Mutter ans Herz. Das kleine MÄ 
chen wußte nicht, wie es um ihre Mutt« 
stand, sie begriff nicht, was hier vorgini 
und schmiegte sich nur mit dem leisen Ausrus 
„Maman, chere maman!" sanft an der Mut 
ter Arm. 
„Was — was — wird aus — aus 
Margot?" schluchzte das Weib mit breche» 
der Stimme und sah mich hilfeflehend an, 
„Keine Mutter — keinen Vater — nicht! 
— was wird aus Margot?" 
Erschüttert standen wir um das Lag« 
der Sterbenden herum. 
„Mein Gott," sagte ich und warf eine» 
Blick hinaus, wo züngelnde Lohe von bre^ 
nenden Häusern blutigrot zum Himmel « 
porleckte. „Was soll aus der Kleinen vm 
den? Der Flecken wird dem Erdboden gleii 
gemacht. Margot hat bald keinen Vater - 
keine Mutter mehr — und —" 
Ich überlegte einen Augenblick. Könnt! 
ich selbst mich nicht der Kleinen erbarmen? 
Da trat der alte bärbeißige, Feldwebel 
mit wuchtig polternden Schritten por un! 
sprach in kernig deutscher Art: „Wenn es del 
Herr Leutnant erlauben, dann — dann neW 
ich mich des armen, elternlosen Wurmes flJ 
— in Gottes Namen! — Habe daheim fünf
	        
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